Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
gemacht werden. Dies betrifft ausnahmslos alle in diesen beiden Verlagen erschienenen Bücher – sie sollen auslaufen und dann endgültig vergriffen sein.« (S. 647) Worauf ein Ritual einsetzt: Man verabredet sich zu einem persönlichen Gespräch, redet miteinander und einigt sich. Bereits am 21. Dezember 1972 hatte Siegfried Unseld für derartige Vereinbarungen eine Sprachregelung gefunden, die an das Vokabular der Kommuniqués verfeindeter Staaten erinnert: »Wir stimmen überein bei gegenseitiger Wahrung unserer Positionen.« (S. 338)
Ein Verleger besitzt Routine darin, mit Autoren und ausländischen Verlagen die Höhe von Honoraren und Lizenzgebühren zu verhandeln. Insofern stören ihn weniger die Geldforderungen als die Mißachtung von Abmachungen. Wie mit derartigem Verhalten umzugehen sei, versucht er sich und Thomas Bernhard zu erklären. Im eben zitierten Brief vom 21. Dezember 1972, nachdem die Finanzangelegenheiten ein für allemal geklärt scheinen, beruft er sich auf die allgemeine und besondere Lebenserfahrung der Frau eines Schriftstellers: »Frau Ninon Hesse hat mir einmal gesagt, daß sich Freunde in Gelddingen behandeln müssen, als ob sie Feinde wären.« So bietet Unseld Bernhard die Freundschaft an und erklärt Pekuniäres zur Angelegenheit einer vom Kern der Beziehung strikt abgeschirmten Exklave. Ab dem 17. Januar 1974 (siehe S. 417) aber weiß Unseld, und zwar aus dem Munde einer Figur von Thomas Bernhard: »Selbst das Genie / wird noch einmal größenwahnsinnig / wenn es ums Geld geht«. Diese Äußerung des Zirkusdirektors Caribaldi in Die Macht der Gewohnheit bedeutet eine Verschiebung in Unselds Verständnis der Beziehung zu Bernhard: Der geniale Schriftsteller handelt prinzipiell nicht nach rationalem Kalkül und ist in Geldsachen im Wortsinn »unberechenbar«. Die Aufspaltung der Person Thomas Bernhards in einen turmhoch überlegenen Autor einerseits, einen pekuniär unkalkulablen Kaufmann andererseits ist die Grundkonstruktion für Siegfried Unselds Umgang nicht nur mit Thomas Bernhard. Es handelt sich hier für Unseld um den prototypischen Kern allen Verhaltens wichtiger Autoren ihren Verlegern gegenüber in Finanzdingen: Unseld erklärt nämlich 1993 in seinem Buch Goethe und seine Verleger , Goethe habe sich in Honorarforderungen das Bernhardsche »Bonmot« über das Verhältnis von Genie und Geld zu eigen gemacht.
Ein derartiges Verständnis ermöglicht dem Verleger auch, das zu akzeptieren, was der Autor als »fremd gehen« bezeichnete (siehe Abbildung 3): Auf die briefliche Ankündigung Ende 1981, mit Ein Kind werde ein weiterer, fünfter Band seiner autobiographischen Erzählungen im Residenz Verlag erscheinen, antwortet Unseld am 29. Dezember: »mit den liebenswürdigsten Worten treffen Sie mich ins Herz und brechen Vereinbarungen, die wir von Mann zu Mann, kurz und gut beschlossen hatten: […] Und nun ist es wieder so, daß das, was manche als wichtigste Seite Ihrer Produktion bezeichnen, nicht hier im Hause veröffentlicht wird. Mich macht das traurig, das können Sie sich denken.« (S. 645) Er hätte noch trauriger sein können, wäre ihm präsent gewesen, was er im Reisebericht Salzburg—München, 28. Juli-1. August 1972 (siehe S. 278f.) festgehalten hatte, daß nämlich die Publikation mehrerer Bände mit dem Arbeitstitel Erinnern in der Bibliothek Suhrkamp vorgesehen war. Es sei dahingestellt, inwieweit bei diesem Bericht Wunsch und Realität übereinstimmen – Die Ursache. Eine Andeutung , der erste Band der Autobiographie, erschien 1975 im Residenz Verlag. Die Reaktion bei Kritik und Lesern war enorm: Mit der Publikation dieser literarisierten Erinnerungen setzte der Erfolg des Prosaschreibers ein.
Über die Gründe, diese Bücher dem Residenz Verlag zu geben, hat sich Bernhard – soweit bekannt – schriftlich nicht geäußert. Die Vermutung, eine Mischung aus inhaltlichen Erwägungen (in Salzburg und dessen engster Umgebung verbrachte er einen Großteil der ersten 19 Jahre seines Lebens) und taktischen Überlegungen (zwei Verlage erhöhen die Verhandlungsmacht) habe dazu geführt, liegt nahe. Unseld aber wollte, und zwar unbedingt, den ganzen Bernhard in seinem Hause.
Nachdem die Autobiographie abgeschlossen, der erste wichtige gemeinsame Kampf 1984/1985 gewonnen war (die Beschlagnahme von Holzfällen endete mit der Zurückziehung der Klagen Gerhard Lampersbergs) und Bernhard dem Drängen Unselds nachgegeben hatte, auf die von ihm beabsichtigte
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