Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Grunde alles verdanken und der uns tatsächlich alles gegeben hat …» Thomas Bernhard hat alles gegeben. Im Insel Verlag erschien 1963 sein erster Roman «Frost». Der große Schriftsteller hat in ihm seine Poetik beschrieben: «Etwas Unerforschliches zu erforschen. Es bis zu einem gewissen erstaunlichen Grad von Möglichkeiten aufzudecken.» Thomas Bernhard hat dies geleistet, Buch um Buch, Stück um Stück. Von keinem Autor der Gegenwart gingen solche Wirkungen aus, keiner hat, so wie er, die Landschaft der Theater geprägt. Das Leben dieses liebenswürdigen Menschen war eine Gratwanderung, es zielte auf das Ganze und das Vollkommene, wissend, daß das Ganze und Vollkommene nicht auszuhalten ist. «Wenn Sie gern leben wie ich, dann müssen Sie halt in einer Art ständiger Hassliebe zu allen Dingen leben.» Dies gilt auch im Hinblick auf den österreichischen Staat, in dem er lebte: Nähe und Distanz, mehr Liebe als Haß. Österreichische Haltung: einfach, kompliziert. «Ich bin durch und durch glücklich, von oben bis unten, von der linken Hand bis zur rechten, und das ist wie ein Kreuz. Und das ist das Schöne daran.» Der Suhrkamp Verlag trauert um seinen großen Autor. Sein Werk wird leben.‹
Ich spüre, wie diese Nachricht mich doch bewegt, erwartet und doch nicht erwartet. Wie groß die Erleichterung, daß wir uns noch ausgesprochen haben. […]
Am Vormittag langes Telefonat mit dem Bruder von Thomas Bernhard, Dr. Peter Johannes Fabjan. Er erzählt mir, daß er mit Thomas Bernhard am Freitag beim Anwalt in Salzburg war, das Testament sei unterschrieben, also rechtskräftig. Am Samstag seien sie noch in Nathal gewesen. […] Er, der Bruder, habe die Krankheitsgeschichte aufgezeichnet, eine Krankheit, die normalerweise von einem Patienten nur zwei bis vier Jahre überlebt werden könnte. Durch seinen unbändigen Willen und die Hilfe des Bruders hätte er zehn Jahre damit gelebt. In der letzten Zeit aber habe er gespürt, daß er nicht mehr die Kraft habe, zu schreiben, er sei erschöpft gewesen, aber die Nacht habe er geredet und geredet, auch wieder über die Beziehung zu mir; er sei sehr glücklich gewesen, daß diese Beziehung sich so erfüllt habe, und glücklich würde er sterben.
Ich fahre in den Verlag, und dann mittags fliege ich nach Wien. […]
Fahrt zum Friedhof Grinzing. Ich fand das Grab, rote Rosen lagen verstreut darauf, ein Mann, der ebenfalls Rosen ablegte, machte ein Foto: so liegt nun Thomas Bernhard neben, genau über, seinem Lebensmenschen. Ich gedachte seiner herzlich. Mit innerer Genugtuung, das den Österreichern durch meine auffallende Anzeige [in einer halbseitigen Anzeige in der Presse , 18. Februar 1989] gesagt zu haben.«
Anhang
»Wir stimmen überein
bei gegenseitiger Wahrung
unserer Positionen.«
Ein Nachwort
Beiträger von Festschriften bedienen sich des Modus der Lobrede, mögen sie in ihren Perspektiven auf die zu würdigende Person noch so stark differieren. An diese Regel hält sich auch Thomas Bernhard, als er 1984 seine Mitarbeit an dem Siegfried Unseld zu dessen sechzigstem Geburtstag zugeeigneten Buch Der Verleger und seine Autoren zusagt. Der Gratulant, der auf seine Laudatio bis in die Fahnen große Mühe wendet, wie Abbildung 12 zeigt, beginnt seine Ausführungen im hohen Ton, William Shakespeare und Bernhard Minetti sind die einzig tauglichen Größen, wenn es gilt, des Verlegers Verdienste zu würdigen. Es folgt, ironisch zugespitzt, die Aufzählung der persönlichen Begegnungen und gemeinsamen Erlebnisse. Das Resümee des mit Unseld überschriebenen Doppelporträts erfährt die stärkste Umformulierung. An die Stelle des »gesunden Mißtrauens« tritt in der Druckversion das »elementare Mißtrauen«, das beide sich, so wird verallgemeinert, »wie in der Vergangenheit auch für die Zukunft auf die Seite gelegt« hätten. Trotz dieser angesparten und ständig sich vergrößernden Mißtrauenskonten sei das gegenseitige Verhältnis » ideal geworden«. Für Bernhard ist offensichtlich das eine kein Hinderungsgrund für das andere.
Nach dem Tod von Thomas Bernhard im Februar 1989 legt der Verleger in einem gleichfalls von strikten Regeln geprägten Genre, einem Nachruf in der Wiener Presse vom 18. Februar 1989, seine Sicht des Verhältnisses dar: »Von keinem Autor der Gegenwart gingen solche Wirkungen aus, keiner hat, so wie er, die Landschaft der Theater geprägt. Das Leben dieses liebenswürdigen Menschen war eine Gratwanderung, es zielte auf das
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