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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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kommen, um mir dann das Manuskript »Korrektur« zu übergeben. Ich bin in Frankfurt am 1. und 2. November, dann wieder am 4. und 5.; nicht also an den Tagen 3., 6. und 8. November.
    Und nun noch eine Bitte: wir haben vereinbart, daß wir in der Bibliothek Suhrkamp im September 1973 einen Band »Erinnern« ankündigen. Das Manuskript wollten Sie mir freilich erst im Frühjahr geben, doch ich muß einige erklärende Zeilen für unsere Ankündigung haben. Ich weiß, daß diese Zeilen eine Pein für Sie sind, aber irgendeinen Anhaltspunkt sollten wir doch haben. Vielleicht schreiben Sie mir in einem Brief, woran Sie bei diesem ganzen Unternehmen »Erinnern« 1, 2, 3 denken. Wir machen dann einen Text daraus. Ich hoffe, es geht Ihnen gut.
    Herzlich Ihr
    — Herr Dr. Unseld ist nach dem Diktat verreist —
    i. A. Renate Steinsiek
    1   S. U. ist zwischen dem 8. und dem 17. Oktober auf Capri.

[210]
     
    Ohlsdorf
    18. 10. 72 1
    Lieber Herr Doktor Unseld,
    wenn ich den Grad der Vernachlässigung, dem meine schriftstellerische Arbeit seit längerer Zeit im Suhrkampverlag ausgesetzt ist, bestimmen soll, muss ich sagen, er ist der grösste; zurückgenommen ausgedrückt, ist es eine mir schmerzliche, allzu unübersehbare Nichtbeachtung (Nichtachtung will ich nicht sagen, weil mir der Begriff der Achtung kein gestatteter ist), während ich doch wenigstens Beachtung erwarten kann.
    Ich möchte hier ein paar Punkte aufzeigen, auf die Ihre Antwort, oder wenigstens Ihre Reaktion unerlässlich ist.
    Zuerst das mir im Augenblick am wichtigsten erscheinende: die »Korrektur«, ein Manuskript, in welchem ich die grösste Anstrengung mit dem grösstmöglichen Glücksfall einer ununterbrochenen Angespanntheit habe vereinigen können, will ich nicht im Frühjahr, sondern im Herbst 1973 erscheinen lassen. Es gibt verschiedene, alle schwerwiegende Gründe, der Hauptgrund ist aber der, dass ich dieses Buch, das mir |als| das wichtigste aus meinem Kopfe erscheint, nicht einfach unter anderm wie beinahe immer lieblos (das das unwiderlegliche Schicksal meiner Schriften bei Suhrkamp) einfach in einem normalen Frühjahrsprogramm vorübergehen lassen will. Dieses Buch will ich ausgereift vorbereitet und als ein mir in vieler Hinsicht überwichtiges in einem Herbstprogramm »erscheinen« sehen, an erster Stelle. Und einmal möchte ich wirklich die ganze Obsorge und das ganze charakterliche Gewicht des Verlages auf mein Buch konzentriert sehen, was ich noch nicht erlebt habe, denn ausgezeichnetes, wirklich Gewichtiges im Hinblick auf den Absprung eines meiner »grösseren« Bücher in die gehirnkläffende scheussliche, mir auf die Nerven, aber nicht in die Nerven hineingehende Welt, habe ich bis jetzt noch nicht erlebt. Tatsächlich hat es keiner meiner sogenannten Romane bis heute auch nur zu einem Einzelinserat in einer der wichtigsten Zeitungen gebracht, beispielsweise, mir ist es zuwider, davon zu sprechen, aber es gibt unerlässliche Gründe, etwas auszusprechen. Nur dürfen Sie nicht vergessen, dass ich, obwohl weit entfernt, doch aufs Äusserste mit der Materie des Verlags, des Geschäftes und des gemachten Erfolges oder Mißerfolges vertraut bin, nicht länger gedenke [[ich]] mich einer doch nur liebenswürdigen Beiläufigkeit eines Apparates wie des Verlages in Frankfurt als ein Opfer der Routine zu empfinden. Entweder mein Buch zieht auf sich die grösstmögliche Konzentration im nächsten Herbst , oder es kommt ganz einfach nicht heraus . Mir fehlen zahmere Wörter.
    Dieser Entschluss bedeutet die Verschiebung von »Erinnern« auf das Frühjahr 1974. 2
    In diesem Augenblick fällt mir ein, dass Sie im letzten Frühjahr auf einem Spaziergang die Eigenerfindung gehabt haben (eine recht liebenswürdige), einen Band zusammenzustellen, in welchem ein radikaler Schnitt durch meine literarischen Körper gezogen wird. Die Idee hat mein Interesse, meinen lauten Beifall gefunden. Dann habe ich nichts mehr gehört. Das Buch war für Frühjahr 73 geplant gewesen.
    Zugleich fällt mir ein, dass ich Ihnen vor etwa drei Monaten den Vorschlag gemacht habe, über die Salzburger Vorfälle eine Dokumentation herauszubringen, mein Vorschlag ist klar und gründlich, wenn auch kurz formuliert gewesen, denn dass sich in Salzburg eine Ungeheuerlichkeit begeben hat, ist unbestreitbar. Es handelt sich um einen revolutionären Stoff, allerdings um einen solchen in unserer unmittelbarsten Umgebung, besser noch: in uns. Wenn Sie aber dieses Buch nicht machen

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