Der Briefwechsel
sich angeschaut zu spüren, skeptisch, dabei mit großen Augen, ohne Sprechen. Was vorher ein Hindernis war, war ja immer wieder die Verlegersprache, die Sprechsprache. Ich meine da nicht Siegfried Unselds Geschriebenes: wir sehen in den Briefen, die Rainer Weiss herausgegeben hat [S. U., Briefe an die Autoren ], daß die geschriebene Sprache des Verlegers manchmal exemplarisch sein kann. Aber das Problem Autor – Verleger, die Sprechsprache dabei hatte in den ersten Jahren mich gehindert, und einzig sein Schreiben, mancher Brief, hatte mich hingezogen zu ihm über die frühen Jahre.
Und dann die zweite Krise, die vielleicht keine eigene war. Es war eine öffentliche Krise, seinerzeit mit der Gründung des Verlags der Autoren, als wir jüngeren Leute, mit Karlheinz Braun, einen Theaterverlag gegründet haben und wir selber die Gesellschafter dieses Verlages wurden. Wir Jungen waren von Brauns Enthusiasmus magnetisiert. Es war nicht nur Ideologie, daß wir Gesellschafter werden wollten. Für mich aber kam es dann zur Krise mit dem neuen Verlag, als ich merkte, daß, wenn Autoren Macht haben, vor allem bei Entscheidungen über Anstellung und Entlassung eines Menschen, daß es noch eine viel schlimmere Macht sein kann, als wenn ein Mensch allein entscheidet. Ich habe noch nie so grausame Menschen erlebt wie Autoren im Kollektiv. Ich habe nie ein ZK erlebt, aber nicht wenige Autoren gebärdeten sich wie bei einer ZK -Versammlung in dem Sinn »mit dem Daumen nach unten«, und das war für mich ein Grund, zurückzugehen in den Suhrkamp Verlag. Das kam von dem Schock durch die Autoren, wie die sich ändern, wenn sie ein Kollektiv werden und Macht haben. Das heißt aber nicht, daß ich ins patriarchalische System zurückgekehrt bin wie in einen Schoß. Das also war die zweite Krise.
Die dritte war eine Krise, die nicht mit Autoren im Plural
742 zusammenhängt, sondern mit mir als Autor im Singular. Das geschah zur Zeit der Arbeit an Mein Jahr in der Niemandsbucht , als ich in einer Überempfindlichkeit die Beziehung Verleger – Öffentlichkeit – Autor nicht mehr im Gleichgewicht sah. Mir erschienen die Verlage, erschien sogar mein Verlag gar zu sehr im Sklavendienst der Zeitungen, der Feuilletons, usw., versklavt von deren Machtspielen. Ich betrat das Haus des Verlegers, und der Stuhl, auf dem ich saß, war in meinem Wahn oder Nichtwahn noch heiß von dem Kritiker, der fünf Minuten vorher da war, auf Vernichten aus. Das hat mich gestört in meinem idiotischen Idealismus, den ich damals noch hatte und den ich, verschoben, vielleicht immer noch habe, und so kam es zu einer dritten, individuellen Krise, wo ich fast – zum Glück gibt's das Wort »fast« –, fast den Verlag verlassen hätte. Ich habe vor kurzer Zeit einen Brief gefunden, den ich irgendwo auf einer Wanderung im Freien geschrieben habe: »Ich verlasse den Verlag«, und so ganz biblisch drei Seiten voll. Zum Glück bin ich dann weitergewandert, und der Brief hat sich dann in die Jackentasche verstrickt über die Jahre und ist nie abgeschickt worden …
Das waren schwierige Momente, vielleicht bloß in der Einbildung, aber gerade diese Momente haben im Gegenzug die Furten, die Übergänge, die Schwellen geschaffen und danach eine Harmonie, die bis zum Ende, bis zu Siegfried Unselds Tod, gehalten, ja, sich verstärkt, sich erwärmt hat. Rainer Weiss hat aus dem Briefwechselband einen Brief vorgelesen, zur Zeit der Stunde der wahren Empfindung , wo ich gekränkt erscheine über einen Satz von Siegfried Unseld über das Buch: »Dieses Buch wird seine Leser finden.« [Brief 223] Aber wenn es so war, kam das nicht aus dem Inhalt des Satzes, sondern aus dessen Sprache. Und dagegen habe ich in einem Briefchen protestiert. Und dazu
743 dann Siegfried Unseld: »Wir haben verschiedene Sensibilitäten.« Und das stimmte. Über zwanzig Jahre waren – ich sage das jetzt im Imperfekt – die Sensibilitäten durchaus verschieden. Und es war recht so.
Das Verhältnis von Autor und Verleger ist von Natur aus kein Freundverhältnis. Aber die letzten zehn Jahre haben die Sensibilitäten sich angenähert und haben sich fast, und nicht nur durch die sogenannte Zusammenarbeit, einander berührt, brüderlich, ja brüderlich. Eine seltsame Sache, die letzten zehn Jahre unseres Sich-Zusammentuns. Seltsam: denn der Verleger braucht den Autor, im Singular, nicht, der Verleger braucht die Autoren im Plural. Das ist auch das Schöne und das Richtige daran. Während
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