Der Briefwechsel
gegolten; und in Die Wiederholung hatte er Slowenien, den slowenischen Karst, als Landschaft der Freiheit beschrieben. Den Schriftsteller versetzte die Berichterstattung über die sich anschließenden Jugoslawienkriege in Rage, so daß er 1996 zwei Bücher darüber vorlegte: Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien sowie Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise. Die veröffentlichte Meinung tat deren Verfasser in Acht und Bann,
734 so daß jeder ihn traktieren konnte, wie er wollte. Der Versuch Handkes selbst, durch eine große Zahl von Lesungen die Menschen zum Lesen und Nachlesen seiner Sätze zu bewegen, scheiterte – er blieb ein beliebtes Opfer der Journalisten-Hatz.
Im Briefwechsel bildeten diese Bücher, die Entscheidung von Unseld, sie zu publizieren, und die Folgen für den Autor und den Verlag ein Thema nur am Rande; das Wie und Wann der Publikation wurde mündlich geklärt. Im Jahr 2000 erinnerte sich Peter Handke, auf Siegfried Unselds Haltung dazu angesprochen: »Dieser Moment, da Siegfried Unseld gesagt hat, ja, wir machen jetzt weiter, wir arbeiten oder bleiben jetzt zusammen: Das war für mich ein Moment des Zutrauens und der Zukunftsgewißheit. […] Daß der Verleger sich hinter mich gestellt habe, das ist nicht einmal wahr. Er brauchte das gar nicht. Es war eigentlich schöner. Er war schlicht da, und indem er da war, waren viele Probleme nicht mehr vorhanden.« (Siehe S. 702.)
2002 schrieb Handke sein umfangreichstes Buch: den Roman Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos – ein Werk, das mit allen bekannten Darstellungs-, Geschichts- und Erzählformen bricht und dabei eine nur für es geltende Logik, Wahrscheinlichkeit und Wirklichkeit erzeugt.
Das Theaterstück Untertagblues ist das letzte Manuskript, das Peter Handke an den erkrankten Siegfried Unseld sandte. Mit dem Brief vom 18. April 2002 endete die Beziehung nicht. Im Sommer 2002 kam es zu einer letzten Begegnung in Frankfurt. Von ihr erzählt Peter Handke: »Er hat sehr langsam gesprochen, aber die Wörter wurden schon noch Worte. Er machte sich auf eine sanfte Weise über sich und alles lustig. Ich fand das vorbildlich. Es gab Pflegerinnen, die ihn betreut haben. Eine war aus Bosnien. Er hat mich ihr vorgestellt: Das ist Peter Handke. Sie müssen wissen, der hat viel Erfolg bei Frauen. Dabei hat er mir zugezwinkert.«
735 Zur Zeit der Annahme der Hornissen arbeitete Siegfried Unseld seit sechs Jahren als Verleger. Bei Peter Suhrkamp hatte er, der auf Vermittlung von Hermann Hesse 1952 in den Verlag eingetreten war, in strenger Schule das Handwerk gelernt – auch gelernt, daß man ein erfolgreicher, sprich: wirkungsmächtiger Verleger nur sein kann, wenn man auch der ökonomischen Basis des Unternehmens größte Aufmerksamkeit widmet. Auf den 1959 neun Mitarbeiter zählenden Suhrkamp Verlag angewandt, hieß das: expandieren, sich auf bisher ignoriertem Terrain bewegen. Noch anders übersetzt: Ausbau des Theaterverlags, Erwerb des Insel Verlags sowie des Nomos Verlags (samt angeschlossener Druckerei) 1963, Begründung der ersten Taschenbuchreihe, der edition suhrkamp , im selben Jahr, Publikation der Zeitschrift Kursbuch 1965 usw. usf. Und noch einmal anders übersetzt: das Aufspüren des »jungen Autors«, der möglichst sein erstes und alle anderen Bücher im Suhrkamp Verlag veröffentlicht, gemäß der Maxime: Der Verlag publiziert keine Bücher, er veröffentlicht Autoren, und zwar solche, deren Programm die Suche nach dem »Neuen« auf jeder Ebene der Literatur ist. Bei den wissenschaftlichen Werken hieß dies: die Aufklärung voranzutreiben, eine »kritische« Haltung zum Bestehenden und die Utopie eines besseren Lebens.
Konflikte mit Autoren und Mitarbeitern zog dies unausweichlich nach sich. Selbst Unselds Strategie enger, freundschaftlicher Beziehungen zu Autoren, der Wert, den er darauf legte, sie mit »Du« anzureden, verhinderte nicht, daß sich Verlagsautoren von unterschiedlichen literarischen Haltungen ausgehend kritisierten und sich von Verlag und Verleger in dieser oder jener Hinsicht zurückgesetzt vorkamen. (Die gegenseitige Aversion von Peter Handke und Thomas Bernhard ab einem gewissen Zeitpunkt mußte Unseld austarieren – wegen seiner Stellungnahmen zum zer
736 fallenden Jugoslawien vermied Handke Begegnungen mit Kollegen, indem er sich z. B. bei der Feier des 50jährigen Verlagsjubiläums selbst auslud.) Die Kritik an
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