Der Bund der Drachenlanze - 09 Ellen Porath
Eingang seiner Kammer.
Der Magier setzte sich auf einen Stuhl. Der Stuhl bestand
offenbar aus demselben magischen Eis, aus dem der Zauberer den ganzen Eisbau geschaffen hatte, war jedoch mit
schönerem Tuch als dem groben Leinen gepolstert, das
Wände und Boden bedeckte. Weiter rechts stieg ein
Dampfkringel aus einem Keramiktiegel über einer Flamme
auf. Der Arbeitstisch war mit Dutzenden , verkorkter Gefäße übersät.
Ein Fenster unterbrach die Monotonie der Wände. Dadurch sah man auf das Eisreich. Schnee wirbelte um einen
Fels aus Eis. Janusz blickte zum Fenster und fluchte. Er
stimmte einen Gesang an und zeichnete mit dem Finger ein
Muster in die Lu ft , woraufhin die Szene im Fenster einem
Schloß wich, an dessen Türmen lauter schwarze und lila
Banner wehten. Goldenes Sonnenlicht überströmte das
Bild, und einen Augenblick lag Sehnsucht auf dem Gesicht
des Magiers.
Die Wände seiner Räume im Eisreich bestanden natürlich
aus massivem Eis. Doch die Tür war aus ebenso massiver,
eisenbeschlagener Eiche. Der Eisjuwel hatte sie vor Monaten in diese verdammte Frostwüste teleportiert.
»Aber Zeit spielt ja hier sowieso keine Rolle«, murmelte
Janusz. »An diesem von den Göttern verlassenen Ort. Ein
Teil eines Jahres, ein Teil eines Lebens. Was macht das
schon?«
Jetzt gab es keine Jahreszeiten mehr, kein scheues Erblühen der Frühlingsjungfrau, nachdem die Winterhexe ihre
sterbende Hand vom Land gelöst hatte. Er lächelte über
seine Phantasien. Gewohnheiten vergingen nicht so leicht.
Früher war er ein Romantiker gewesen.
Früher hatte Zeit eine Rolle gespielt. Früher hatte er gespürt, wie er mit den Jahreszeiten wuchs, wie sein Herz
weiter wurde und taute, wenn die Erde sich erwärmte und
neue Blätter sich entfalteten. Seine romantischen Gefühle
mochten lächerlich gewesen sein angesichts seiner grauen
Haare und der tie fe n Falten zwischen Nase und Mund.
Doch er hatte wahre Liebe kennengelernt – er hatte Dreena
gekannt –, und die We l t war ihm jung und frisch erschienen.
»Pah!« murmelte er und verdrängte die nutzlose Vergangenheit. »Mein Herz ist gefroren wie das Eisreich.«
Wände, Boden und Decke waren feste Eisflächen, die
spiegelglatt poliert waren. Ein großer Teil der eisigen Oberfläche war mit dünnem Tuch bedeckt, um die Bewohner
des Baus davor zu bewahren, am Eis festzukleben, so wie
warmes Fleisch an besonders kalten Tagen an kaltem Metall festfriert.
»An besonders kalten Tagen«, wiederholte Janusz jetzt.
Er lachte tonlos. »Hier gibt es keine Tage, auf die diese Beschreibung nicht passen würde.«
Es gab kein Brennmaterial für ein richtiges Feuer, noch
nicht einmal einen Kamin. Einen Kamin aus Eis? Nein, und m agisches Feuer zehrte zu sehr an seiner Kraft. Er brauchte
zur Zeit fast seine gesamte Macht, um Kitiara und ResLacua einen Kontinent weiter nördlich auf der Spur zu
bleiben. Und er mußte jetzt sogar noch mehr Energie aufbringen, um Res-Lacua Umgangssprache reden zu lassen,
anstatt das orkische Gebrabbel des Ettins. Denn vielleicht
mußte der Riese mit Kitiara reden, um sie zum Fieberberg
zu locken.
Janusz stieß einen Fluch an Morgion aus und ließ seine
Faust auf die gefrorene Tischfläche krachen. Das Wasser
schwappte über den Rand der Sehschale und lief in Strömen über seine Robe.
Wieder fl uchte er, während er die schwarze Wolle mit
einem Leinentuch abrieb. Einst hatte er die weißen Roben
des Guten angestrebt. Doch jetzt gab es nur noch Schnee
und Eis und Böses in seinem Leben. Sogar hier im Eisbau
pfiff der Wind durch die Spalten und Ritzen und zog um
seine in Wolle gehüllten Füße. Das Schloß hätte wärmer
sein müssen. Schließlich hatte er den Bau beaufsichtigt, all
die dicknackigen, strohdummen Ettins angeleitet. Sie hatten die Arbeit getan, die seine Magie nicht erledigen konnte.
Seine doppelt gewebte Robe aus bester Wolle nützte Janusz wenig gegen den schneidenden Wind in diesem verfluchten Land. Alles im Raum war in das bläuliche Licht
aus seinem magischen Eis gebadet. Laternen waren überflüssig, denn die Wände selbst beleuchteten das Schloß.
Doch der Zauberer sehnte sich nach einer warmen Lampe
mit orangegelber Flamme. Er sehnte sich nach Kern.
Hier konnte er sich nur an seinen Erinnerungen wärmen.
Dieser Gedanke war so banal, die Vorstellung so sinnlos,
daß er verkniffen lächelte. Denn er hatte etwas anderes, das
ihn wärmte – seinen Hunger nach Rache. Er hatte reichlich
Zeit gehabt,
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