Der Bund der Drachenlanze - 11 Tina Daniell
Die Planken der Venora knirschten laut.
Kapitän Murloch hatte seinen Teil des Geschäfts erfüllt.
Die großzügige Bezahlung, die er erhalten hatte, würde ihn
reichlich dafür entschädigen, daß er sein Schiff verlor und
sein Leben aufs Spiel setzte. Wie viele alte Seebären liebte
Murloch sein Schiff und bedauerte den Verlust. Die Venora war ihm fa st so lieb wie sein Leben.
»Tja, altes Mädchen, wir hatten eine gute Zeit«, murmelte
der Kapitän und leckte sich dann die Lippen.
Murloch bückte sich und zog einen dicken Korkring aus
einer Falltür am Mast. Er schlüpfte hinein und band ihn mit
einem Seil am Bauch fest. Nach einem letzten Blick auf die
drei bewußtlosen Körper und dann in das dunkle, aufgewühlte Wasser, kletterte er über die Reling und ließ sich in
die rauhe See fallen.
Es war ihm gelungen, durch die hohen Wellen zu kraulen und mehrere hundert Fuß zwischen sich und das Schiff
zu bringen, bis sich die zornige Wolke, die über der Venora lauerte, auf das Schiff herabsenkte. Dabei spie sie feurige
Blitze und Hagel aus.
Dann begann die Wolke, sich mit schrecklichem, brausenden Getöse zu heben und die Venora mitzutragen. Aus
der Ferne konnte Murloch kaum noch Bug und Heck seines
Schiffes ausmachen, als die Venora sich wie immer schneller
um sich selbst drehte und in den Wirbelsturm gesaugt
wurde.Einen halben Tag später erspähte der verräterische
Kapitän Murloch, der sich von der Strömung treiben ließ,
in der Ferne die Küste von Abanasinia. Er war fast zu Hause.
Trotz seines Hungers und der Müdigkeit tröstete ihn die
Aussicht, für den Rest des Lebens ein reicher Mann zu sein.
Von dem Rettungsring aus Kork getragen, der genau um
seinen Leib reichte, begann Kapitän Murloch wieder zu
schwimmen. Mit kräftigen Stößen bewegte er sich auf die
Küstenlinie z u.
Ein merkwürdiges Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit nach oben. Die Sonne war so hell und heiß, daß er eine
Hand an die Augen legen mußte. In der Luft schienen
Punkte zu tanzen.
Plötzlich hörte Kapitän Murloch auf zu paddeln und
starrte entsetzt nach oben. Was wie Punkte ausgesehen hatte, war in Wahrheit ein kegelförmiger, fliegender Insektenschwarm. Als er voller Panik hinschaute, erkannte er, daß
sie über ihm flogen und sich mit ihm weiter bewegten. In
diesem Moment neigte sich der Schw a rm und schoß nach
unten.
Es waren riesige Bienen – Hunderte, Tausende davon.
Summend, tanzend, stechend. Kapitän Murloch streckte
vergeblich einen Arm hoch, um sie zu verscheuchen. Der
Arm war rasch mit zornigen Tieren bedeckt.
Der Schrei, der aus Kapitän Murlochs Mund drang, entsprang reiner Hilflosigkeit. Die Riesenbienen schwärmten
in seinen Mund hinein, bedeckten sein Gesicht, suchten
nach seinen Augen und Ohren. Sie formten einen lebenden
Teppich über Kapitän Murloch, in dem sie zuckten und
summten, während sie ihren tödlichen Auftrag vollbrachten.
Innerhalb von Sekunden hörte sein Herz auf zu schlagen.
Die Bienen flogen zur Sonne hoch.
Das Gesicht des Kapitäns im Meer war eine rote, aufgedunsene Maske. Schwarz und aufs Fünffache ihrer normalen Größe geschwollen, hing ihm die Zunge aus dem
Mund. Die Arme lagen schlaff und nutzlos im Wasser. Kapitän Jhani Murloch trieb auf die Küste zu.An einem einsamen, zerklüfteten Ort – salzverkrustetes Land, von der
Sonne ausgedörrt, vom Wind ausgetrocknet, von einer ungastlichen See umgeben – beugte sich Tausende von Meilen
weit fort eine breite Gestalt nach vorn, um die Zeichen aus
den schimmernden Gegenständen zu lesen, die sorgsam
auf dem hohen Tisch eines Felsplateaus zusammengestellt
waren.
Er hatte einen halben Tag klettern müssen, um von seinem Lager im trockenen, verwüsteten Tie fl and hierher zu
gelangen. Dennoch nahm er diesen Aufstieg zweimal die
Woche auf sich, um mit den Göttern zu sprechen – besonders mit einem von ihnen.
Die große Gestalt hob den Kopf und beobachtete, wie das
Mittagslicht von dem farbigen Glas, den Prismen, den Kristallen und den silbernen Spiegelscherben zurückgeworfen
wurde.
Etwas weiter entfernt standen seine drei vertrautesten
und am meisten eingeweihten Adepten. Man nannte sie
ein fa ch die Hohen Drei. Der, den sie jetzt betrachteten, war
einst selbst einer der Drei gewesen. Jetzt war er ihr unbestrittener Anführer. Unausweichlich würde ihm eines Tages einer von ihnen nachfolgen und die heiligen Pflichten
erfüllen.
Hinter den Hohen Drei standen im Kreis zwischen geborstenen Felsen
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