Der Bund der Illusionisten 3: Brennender Wind (German Edition)
Schon jetzt reden er und seine Unterstützer davon, den ganzen Handel auf dem Issischen Meer mittels der tyranischen Marine zu kontrollieren, und dabei geht es ihnen um nichts anderes als den Untergang Kardiastans. Abgesehen davon würden sie die Sklaverei wieder in Tyrans einführen.« Und zuzulassen, dass so etwas geschah, wäre Verrat an Brand…
Aber sie wollte so gern nach Hause gehen. Temellin war da; das allein war Grund genug, und schon bald würde es noch einen anderen geben: Arrant. Sie konzentrierte sich auf sein Gesicht. Ernst, viel zu ernst für sein Alter. Belastet von den Toten, für die er verantwortlich war. Belastet– bereits jetzt– von der Verantwortung, die er schon bald tragen würde. Sein Blick ging über den Bug des Schiffes hinaus nach vorn zu den Schlagbäumen, denen es sich näherte; er schien nicht wahrzunehmen, dass sie sich auf dem Turm befand. Obwohl er sie hätte spüren müssen, sah er nicht in ihre Richtung. Garis, der am Heck stand, hatte den Kopf gehoben und blickte zu ihr hoch; er hob eine Hand zugleich zum Gruß und zum Abschied. An Arrants Haltung deutete nichts darauf hin, dass er wusste, dass sie ihn beobachtete. Sie trat unruhig und besorgt von einem Bein aufs andere.
Er würde in ein Zuhause zurückkehren, das er nie kennengelernt hatte, zu einem Vater, den er kaum kannte, um ein Erbe anzutreten, dem er möglicherweise nie gerecht werden konnte. Er hatte seine Macht nicht vollständig unter Kontrolle, und hin und wieder erwies sich diese Macht als so zerstörerisch wie ein Meeressturm im Winter. Und es würde so viele geben, die ihn nicht willkommen hießen. Einfach nur, weil er der Sohn von Sarana Solad war– der Illusionistin von Kardiastan, die zu Ligea geworden war, der Exaltarchin von Tyr.
» Götter«, dachte sie, » was für eine Art Erbe haben wir dir da nur hinterlassen, Arrant? Was für eine Zukunft wartet auf dich?«
Arrant heftete den Blick auf das Meer vor sich, als sie zwischen den Schlagbäumen hindurchfuhren. Ein Stück voraus verbreiterte der Tyr sich zum Mündungstrichter, und dahinter wartete das Issische Meer. Arrant sah weder zu den Türmen links und rechts von ihm, noch warf er einen Blick zurück.
Dieses Leben war vorbei, war abgeschlossen. Er musste es hinter sich lassen– alles, was damit zusammenhing. Auch die guten Dinge. Wie zum Beispiel, in der öffentlichen Bibliothek zu lernen. Den Luxus der Palastbäder genießen zu können. Den Unterricht bei den Gelehrten der Akademie. Geometriestunden beim alten Lepidus. Er bedauerte es; er liebte die Gewissheit der Mathematik und die Strukturen, auf die sie verwies. Wenn er jetzt irgendwelche Gebäude ansah, erkannte er eine Sprache in ihrer Konstruktion… Gab es in Madrinya Mathematiker? Er hatte sich nie danach erkundigt.
» Denk nicht darüber nach, du Narr«, sagte er zu sich selbst. »Blicke nicht nach Tyr zurück, auf die Eleganz der Tempelsäulen und die Schönheit der Karyatiden, auf das Theater der Wüstenperiode, auf die Villen am Hügel, auf die Kuppeln des Palastes, in dem meine Mutter sich jetzt befindet. Es ist vorbei. Dieses Leben ist Vergangenheit. Du gehst nach Kardiastan, um dein Illusionisten-Erbe anzutreten. Und denk auch nicht an die schlechten Dinge. Dass Brand gestorben ist, weil du ein eifersüchtiger Narr gewesen bist. An all die Soldaten, die gestorben sind, weil du deine Macht nicht kontrollieren konntest. Von jetzt an schaust du nach vorn und nicht zurück. Immer.«
Er hielt den Blick auf das offene Meer gerichtet, und sein Magen zog sich in einer Mischung aus Aufregung und Sorge zusammen. Er war unterwegs zu seinem Vater. Magor Temellin, der Illusionist von Kardiastan, der Befreier, der Held, dessen anderer Sohn einer der Illusionierer war. Er war seinem Vater erst einmal begegnet, und an den Monat, den sie gemeinsam in Ordensa verbracht hatten, als er fünf gewesen war, hatte er gemischte Erinnerungen. Es waren hauptsächlich kindliche Dinge – wie sie Sandburgen am Strand gebaut hatten, wie sie mit der Katze gespielt hatten, wie er Schwimmen gelernt hatte. Und Erinnerungen an einen Mann, der groß und braun gewesen war und gelacht hatte, der starke Arme gehabt und ihn auf seinen Schultern getragen hatte.
Und dann war da diese schreckliche Nacht gewesen, als die Verheerung gekommen war und mit ihrer Drohung eines schrecklichen Todes seine Träume erstickt hatte. Er hatte sich nach seinem Vater gesehnt, der ihn retten sollte, und er war losgelaufen, um ihn zu
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