Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
Blick wieder klärte. Kein Blut.
Kein Blut, keine Hunde, kein Tod. Er hob den Kopf und sah verschwommen die Scheune. Er konnte nicht anders, er musste den Hügel direkt vor der Tür anstarren.
»Oh, ihr Götter«, sagte er. »Erspart es mir.«
Es gab kein Entrinnen. Der Unbekannte lebte und atmete, und doch lag dort im Grab sein toter Körper. Wieder würgte er, und er spuckte die Galle auf den rissigen Erdboden.
»Warum habt ihr mich nicht einfach sterben lassen?«, knurrte er. Mühsam richtete er sich auf. Er verfluchte Xetesk. In seiner Jugend war die Stadt seine Heimat gewesen. Sie hatte ihm jedoch seinen Tod gestohlen und ihm ein perverses Leben hinter einer Maske gegeben. Er verfluchte die Stadt und ihre Meister, die Magier, die über die Abscheulichkeiten herrschten, die er seine Brüder nannte.
Mit Schritten, die sich anfühlten, als wate er bis zur Hüfte durch Schlamm, wankte er zu seinem Grab, die Augen wie gebannt auf den staubigen Hügel geheftet, der bis auf das undeutliche Abzeichen des Raben ungeschmückt war. Das in die Erde gebrannte Zeichen war inzwischen größtenteils verschwunden, vom ewigen Wind in nur wenigen Wochen abgetragen.
Und als er endlich dort stand und auf sein einsames Grab hinabstarrte, rannen ihm die Tränen ungehindert über die Wangen und besprenkelten vor seinen Füßen den Staub. Er kniete nieder und strich mit der Hand über sein Grab. Wenn er es gewollt hätte, dann hätte er seine eigenen Gebeine berühren und seinen Körper und sein Gesicht sehen können. Er hätte den Unbekannten Krieger ansehen können, dessen Körper dort lag, wo seine Seele sein wollte. Frei.
Er atmete tief durch und schloss die Augen. Dann legte
er beide Hände auf das Grab, und sein Kopf sank auf die Brust.
»Im Norden, im Osten, im Süden und im Westen. Auch wenn du fort bist, wirst du immer zum Raben gehören, und ich werde dich nie vergessen. Habe Mitleid mit mir, weil ich noch atme und du nicht.« Dann schwieg er und blieb lange reglos sitzen. Er wusste, dass er das Gebet für einen seelenlosen Haufen Knochen gesprochen hatte, doch irgendwie fand er in dieser Totenwache einen eigenartigen Frieden.
Schließlich richtete er sich wieder auf und entfernte sich ehrerbietig zwei Schritte rückwärts vom Grab, ehe er sich zu Septerns Haus umdrehte. Vor ihm stand Cil, der Protektor, und hinter ihm standen alle anderen. Schweigend warteten sie dort und fühlten mit ihm, scheinbar unbeteiligt hinter den Masken, doch voller Empörung über das, was der Unbekannte durchlitten hatte.
Unfähig zu sprechen, legte Cil dem Unbekannten eine Hand auf die Schulter und drückte sie. Sein Kopf neigte sich leicht. Der Unbekannte sah ihm einen Moment in die Augen, dann wanderte sein Blick zu den Protektoren hinter ihm, und ein Schauder lief ihm über den Rücken, als er diese geballte Macht so still verharren sah. Seine Augen trübten sich wieder, dieses Mal aber vor Dankbarkeit.
»Ihr könnt Eurer Berufung entkommen«, sagte er, »doch der Preis ist hoch, glaubt mir. Der Schmerz der Trennung ist groß. Ich kann euch immer noch fühlen, aber ich kann nicht mit euch sein. Der Zeitpunkt wird kommen, an dem ihr wählen könnt.«
Er schritt zwischen den Protektoren hindurch, die sich umdrehten und ihm zum Haus folgten. Er hatte seine Wahl getroffen, doch als er sein Grab verließ, ohne noch einmal zurückzuschauen, wurde ihm bewusst, dass es noch
eine weitere Möglichkeit gab, auch wenn er keine Ahnung hatte, ob er den Mut finden würde, sie zu wählen. Wie immer würde die Zeit es zeigen.
»Wenn Ihr glaubt, wir könnten hundert Protektoren durch den Riss mitnehmen, dann irrt Ihr Euch«, sagte Hirad, nachdem Denser seine bislang fruchtlose Diskussion mit Styliann zusammengefasst hatte. Der ehemalige Herr vom Berge weigerte sich rundheraus, die Rabenmagier einen Blick auf Septerns Texte werfen zu lassen, und Hirad vermutete, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Styliann auf die Idee kam, er könne die erforderliche Magie selbst erschaffen und wirken. Wie die anderen Rabenkrieger wusste Hirad zu seinem großen Unbehagen nur zu genau, dass sie hoffnungslos in der Unterzahl waren.
»Ich wüsste wirklich gern, wie Ihr mich daran hindern wollt«, sagte Styliann.
»Die Frage ist nicht so sehr, was ich jetzt tun kann«, sagte Hirad. »Die Frage ist eher, was die Kaan tun werden, wenn Ihr dort ankommt. Sie brauchen Eure Protektoren nicht, und was sie nicht brauchen, das zerstören sie gern.«
Styliann machte
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