Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
weiterkommt.« Kards Schwert war bereit, doch er machte keine Anstalten anzugreifen.
»Dies wäre der richtige Augenblick für eine ehrenhafte Kapitulation«, sagte Senedai.
»Wie wenig Ihr doch wisst.« Hinter der Tür wurden die Stimmen gehoben, und die Worte wurden schneller gesprochen. Dann brach der Singsang abrupt ab, und eine einzige, kräftige, selbstbewusste und entschlossene Stimme war zu hören. Barras.
»Aus dem Weg, sonst mache ich Euch nieder«, knurrte Senedai.
»So sei es.« Kard griff an, sein Schwert blitzte im Lampenschein. Es war ein rascher Hieb, doch sein Alter und die Erschöpfung behinderten ihn. Senedai konnte den Schlag abwehren und mit einem Stich kontern, dem Kard auswich. Links und rechts neben Senedai griffen nun auch seine Männer an. Gleichzeitig kamen die Äxte herunter. Einen Schlag konnte Kard abwehren, die zweite Axt fraß sich in seine Schulter und zwang ihn auf die Knie.
Kards Schwert fiel klappernd auf den Boden, und er sackte an der Tür zusammen. Die freie Hand presste er auf die Schulter. Das Blut lief am Arm und auf der Brust herunter. Seine Augen flackerten, er keuchte vor Schmerzen. Senedai hockte sich vor ihn hin.
»Ihr seid ein tapferer Mann, General Kard. Aber dumm seid Ihr auch. Es war nicht nötig, dass Ihr sterbt.«
Kard schüttelte den Kopf, konnte ihn aber nicht mehr heben, um Senedai anzusehen. »Falsch«, murmelte er mit seinem letzten Atem. »Es war unbedingt nötig.«
Auf eine Geste von Senedai zog einer der Krieger Kard zur Seite. Hinter der Tür hatte der Singsang aufgehört. Der Turm bebte leicht, Staub wirbelte zwischen Balken und Fugen hervor.
»Die Tür«, rief Senedai. »Schnell!«
Sie war verriegelt, doch ein kräftiger, gut gezielter Tritt
ließ sie auffliegen. Drinnen knieten sechs Magier mitten in einem Raum voller Bücher und Pergamente im Kreis. Wieder bewegte sich der Turm, diesmal war ein deutlicher Ruck zu spüren, und man hörte Krüge auf dem Steinboden zerschellen. Eine Aura von Furcht wehte auf den Flur heraus. Senedai wich einen Schritt zurück, seine Krieger gleich mehrere. Die Luft war zum Ersticken dick und betäubte Gedanken und Glieder. Der Turm bebte jetzt heftig, Lampen fielen von den Wänden, und das Klirren von zerbrechendem Glas hallte durch den ganzen Bau. Die Wesmen taumelten, einer stürzte und schlug mit dem Kopf an eine Wand. Andere wechselten ängstliche Blicke und leckten sich über die trockenen Lippen.
»Mein Lord?« Eine flehentliche, ängstliche Bitte.
»Ich weiß«, knirschte Senedai. Er sah sich noch einmal im Raum um und suchte Barras’ Blick. Der alte Elf lächelte.
»Ihr könnt uns die Gebäude und das Leben nehmen, aber niemals das Herz.«
»Ihr seid mir Euren Kopf schuldig, Barras.«
»Die Abmachung gilt nicht mehr. Ich rate Euch, den Turm zu verlassen, ehe er auch für Euch zum Grab wird.« Er hob die Arme über den Kopf und rief Worte, die der Lord der Wesmen nicht verstand.
Der Turm bebte heftig, das Deckengewölbe kam herunter, Balken splitterten, das Gemäuer krachte und geriet in Bewegung, der Fußboden gab nach. Vor Senedais aufgerissenen Augen begann die Kammer, in der Barras und seine Magier knieten, zu versinken. Das Holz stöhnte, quietschend wurden Nägel aus den Balken gerissen, Stein und Ziegel polterten wie Donner herab. Alles vibrierte.
»Verschwindet hier, Senedai. Verlasst mein Kolleg.« Die Tür fiel vor ihm zu, als habe sie eine unsichtbare Hand zugeschlagen.
Sie knallte hart gegen den Rahmen, sodass die ganze Vertäfelung knackte. Senedai wandte sich an seine verängstigten Krieger.
»Worauf wartet ihr noch? Los, raus hier!« Wie um sie noch weiter anzutreiben, drang ein gequältes Ächzen von Holz und Gemäuer aus dem versinkenden Raum. Die Krieger drehten sich um und rannten weg, Senedai folgte ihnen ebenso schnell. Ringsum wackelten die Wände, Staub stob in die Luft, und nacheinander flackerten alle Laternen und Kohlepfannen, fielen von den Wänden und erloschen. Hinter ihnen auf der Treppe wurde es dunkel.
Sie stürzten auf den vom Sonnenlicht erhellten Hof hinaus, mitten in eine Gruppe von Wesmen hinein, die offenen Mundes den bebenden Turm anstarrten. Ein Netz von Rissen überzog den Turm, als hätte dort eine eifrige Spinne gewirkt, und hier und dort klafften Löcher im Mauerwerk. Schutt rieselte in den Hof herunter.
Es war ein Anblick, der bei den Wesmen zuerst Angst und dann umso größeres Jubelgeschrei auslöste, als der Turm von Julatsa in einer Steinlawine
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