Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
seiner großen Flügel erzeugte Wirbel im Nebel, als er mit weit vorgestrecktem Kopf zu seinem Heim flog. Nach einem Dutzend Flügelschlägen war der Nebel vertrieben, und was er dahinter sah, erfreute sein Herz und brachte seinem gehetzten Geist Frieden.
Sha-Kaans Brutland wurde vom breiten, langsam fließenden Fluss Tere dominiert. Der Fluss entsprang am Nordende des Tals in den Bergen, stürzte als mächtiger Wasserfall herab und wurde am Talboden breiter und langsamer. Weitere Wasserfälle speisten ihn, bis er am südlichen Ende des Tals unter der Erde verschwand. Die Bergflanken, die das Tal begrenzten, waren auch die Heimstatt der Vögel, die sich vom Flammengras ernährten, das sie gleichzeitig im gesamten Brutland verbreiteten. Große Steinplatten durchbrachen das Gras, und wo der Mutterboden dünn war, hatten die Vestare ihre Häuser aus Holz und Stroh gebaut.
Sha-Kaan flog ganz durch das Tal, und überall wurden seine Rufe von der jungen Brut beantwortet, die sich noch nicht aus den Geburts-Chouls wagte, den schlichten, flachen, niedrigen Gebäuden, in denen genau das richtige Klima herrschte, damit ein junger Kaan geboren und ernährt werden konnte, bis er flügge war. Dort brannten ständig Feuer unter großen, dampfenden Bottichen voll Wasser. Das Kondenswasser schlug sich an den Wänden nieder und hielt den Boden feucht. Unterirdisch wurde noch mehr Wasser zu den Nestern geführt.
Sha-Kaan drehte sich um – eine träge, anmutige Bewegung; er breitete die Flügel aus und sank weiter hinab, bis er landen konnte. Der Fels bebte, als er aufsetzte, und seine Diener kamen sofort angerannt.
»Ich bin unverletzt«, sagte er. »Lasst mich, ich will eure Arbeit sehen.« Er sah sich um und stellte fest, dass alles war,
wie es sein sollte. Glücklich seufzte er. Wingspread. Sein Heim.
Wingspread war ein wundervolles Gebäude. Sein polierter weißer Steinbogen erhob sich mehr als hundertfünfzig Fuß bis in den Nebel hinauf und überragte das Tal. Der niedrige Eingang führte zur Hauptkuppel, wo er ruhte und Audienzen hielt. Die Kuppel selbst war eine vollkommene Halbkugel, die erst im vierten Anlauf mit befriedigender Perfektion errichtet worden war. Sie ruhte auf Mauern mit einem achteckigen Grundriss, und in die Außenwände war sein Gesicht eingraviert, sodass er in alle Richtungen zu schauen schien, um das Übel vom Brutland abzuwehren.
Links und rechts neben der Kuppel standen Türme. Schimmernde Säulen waren es, die auf drei Ebenen Balkone besaßen und in Rauchabzügen ausliefen. Unten brannten Feuer unter Kesseln mit heißem Wasser. Genau wie die jungen Kaan liebte auch er die feuchtheiße Luft, wenn er von seinem Choul und seinen Verwandten getrennt war. Der Dampf umschmeichelte seine Schuppen und tat seinen Augen gut.
Seinen Namen hatte Wingspread von dem beeindruckenden Monument bekommen, das sich hinter der Kuppel erhob: Nachbildungen von Sha-Kaans Flügeln, deren Spitzen fast den dreihundert Meter höher schwebenden Nebel berührten. Jedes Detail, jede Ader, jeder Knochen, jede Unvollkommenheit, jede Wunde und jeder Kratzer waren exakt wiedergegeben. Die ausgebreiteten Flügel waren wie im Flug nach oben gebogen und trafen sich außerhalb des Sichtfeldes. Es war ein Monument, das seiner Herrschaft über die Brut einen würdigen Ausdruck verlieh.
Der Große Kaan ging langsam weiter. Er hatte den Hals zu einem S gebogen, und die Flügel stützten den schimmernden
goldenen Körper bei seiner schwerfälligen Bewegung am Boden ab.
»Ausgezeichnet«, sagte er. »Ausgezeichnet.« Er schloss die Augen, richtete sich sorgfältig aus und versetzte sich in die Kuppel. Der kurze Sprung durch die Dimensionen, der nur möglich war, wenn der Körper still hielt, war unvermeidlich in einem Gebäude, dessen Türen nicht für einen riesigen Drachen, sondern nur für dessen Diener und Helfer gebaut waren.
Drinnen in der Hitze entspannte er sich sofort. Er ruhte aus, streckte den Hals auf dem feuchten Boden aus und kaute abwesend an den Ballen Flammengras, die ringsum an den Wänden aufgestapelt waren, bevor er eine Ziege von ihrer Leine riss. Dann ließ er den Blick über die Innenseite der Kuppel wandern, über die Wandbilder, die ein lange untergegangenes Land zeigten. Ein Land, das existiert hatte, bevor die Drachen um die Vorherrschaft zu kämpfen begonnen hatten. Jetzt waren nur noch einige wenige schöne Flecken übrig. Keol war einer gewesen, und nachdem er sich überlegt hatte, dass die Wandbilder ein
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