Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
Acker starrte und kaum auf die Männer achtete, die vor ihm anhielten. Selik stieg ab, und jetzt endlich drehte sich der Bauer zu ihm um. Unglauben und Verzweiflung standen ihm ins Gesicht geschrieben. Er war ein junger Mann, noch nicht einmal dreißig, mit kräftigem, muskulösem Körper, hellem Haar und eckigem Kopf.
»Was ist geschehen?«, fragte Selik.
Der Bauer sah ihn an, dann betrachtete er die Männer, die auf den Pferden sitzen blieben.
»Schwarze Schwingen?«, fragte er. Selik nickte. »Seid Ihr gekommen, um den Wind davon abzuhalten, so heftig zu wehen? Lasst uns das lieber allein regeln. Wir wollen keinen Ärger.«
»Wir wollen Euch auch keinen Ärger machen«, nuschelte Selik. Er versuchte sogar zu lächeln. »Hat der Wind dies hier angerichtet?«
Der Bauer nickte. »Ist gestern erst aus heiterem Himmel aufgekommen. Der Himmel war blau. Wir haben alle unsere Ernte verloren. Einige sogar Tiere und ihre Häuser. Ich gehöre hier noch zu den Glücklichen, falls man das so ausdrücken kann.« Er drehte sich wieder zu seinem Acker um. »Ich meine, es ging uns gut hier, und … wir haben auch noch Korn im Speicher, damit können wir uns selbst durchbringen, aber sonst niemanden. Vor vier Tagen sind jedoch mehr als hundert aus Orytte gekommen, die alles verloren haben.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Selik, auch wenn er sich gut vorstellen konnte, was passiert war. Der Bauer bestätigte seine Gedanken.
»Das Meer hat die Stadt genommen«, sagte er. »Die Überlebenden erzählen, die meisten Einwohner seien ertrunken. Wir hätten sie lieber nach Arlen geschickt, aber sie wollen nicht wieder ans Wasser. Das könnt Ihr sicher verstehen. Also haben wir sie aufgenommen, aber jetzt können wir sie nicht mehr ernähren. Nicht mehr lange, jedenfalls.«
Selik sah sich zu seinen Männern um, die den Wortwechsel verfolgt hatten. Einige schüttelten den Kopf. Selik schnaufte. Auf einmal tat seine Brust wieder weh, wo
die Kälte so tief eingedrungen war. Das Gefühl diente nur dazu, seine Entschlossenheit zu stärken.
»Was wollt Ihr denn nun tun?«, fragte er nicht unfreundlich.
Der Bauer deutete mit dem Daumen zum Dorfzentrum. »Da hinten im Gasthof findet gerade eine Versammlung statt. Die Leute sind sehr wütend. Sie wollen Antworten hören, bevor sie im Winter verhungern. Anscheinend will Evansor sich an die Kollegien wenden und um Hilfe bitten. Die sind doch reich genug, oder?«
»Und wer ist Evansor?« Auch in diesem Fall wusste Selik schon vorher, wie die Antwort lauten würde.
»Unser Magier«, bestätigte der Bauer.
»Euer Magier«, spuckte Selik. »Von denen ist doch nichts Gutes zu erwarten.« Der Bauer erschrak ob dieses heftigen Ausbruchs. »Bei den Göttern, Mann, sie sind die Ursache von alledem. Glaubt Ihr wirklich, dies alles habe natürliche Ursachen? Ein Wirbelsturm aus heiterem Himmel, Orytte im Meer versunken? Die Magie ist daran schuld.«
Der Bauer runzelte die Stirn. »Nun ja, wir haben Gerüchte gehört, aber Evansor …«
»Evansor, ja«, sagte Selik kalt. Er wollte sich den Mann persönlich vornehmen und ihn als den Verräter entlarven, der er zweifellos war. »Sehr überzeugend ist er und zweifellos sehr verständnisvoll.« Er beugte sich vor. »Aber einem Magier zu glauben bedeutet, das eigene Leben in die Hände eines Mörders zu legen.« Er drehte sich auf dem Absatz um und schwang sich wieder auf sein Pferd. »Warum seid Ihr eigentlich hier und nicht beim Treffen?«
»Weil ich nach meinem Land sehen muss. Und weil es dort Ärger geben wird, bevor der Abend vorbei ist.«
»Oh, ja, es wird Ärger geben«, sagte Selik. »Aber dieser Ärger ist der Beginn von etwas, das richtig ist.«
»Und was tun wir, falls wir sie finden?«, fragte Hirad.
Die Rabenkrieger hatten, nicht lange nachdem sie den Dornenwald verlassen hatten, Halt gemacht und waren abgesessen. Jetzt hockten sie nebeneinander auf einem Hügel, auf dem der Wind ihnen ins Gesicht heulte und den Geruch von Blut und Tod vertrieb, und teilten sich einen Wasserschlauch, bevor sie das letzte Stück bis nach Greythorne ritten. Sie wollten einige Stunden nach Einbruch der Nacht dort eintreffen.
Der Unbekannte setzte den Schlauch ab und trieb den Stöpsel mit der Handkante in die Öffnung.
»Gute Frage. Aber was meinst du mit ›falls‹?«
»Nein, eigentlich meinte ich ›wenn‹«, berichtigte Hirad sich. Er sah seinen Freund an. Sein kurz geschnittenes Haar war stumpf unter dem trüben Himmel, und seine Augen
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