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Der Chancellor

Titel: Der Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Uebrigen auszusprechen. Wenn dem Menschen eine Gefahr lange Zeit droht, so wünscht er sie endlich wohl herbei, denn die Erwartung einer unvermeidlichen Katastrophe ist stets schlimmer als die Wirklichkeit selbst.
    So lange es noch Zeit war, hat Kapitän Kurtis eine gewisse Menge Nahrungsmittel aus der Kombüse, welche man jetzt nicht mehr betreten könnte, herausschaffen lassen. Schon hat die Hitze viel davon verdorben. Doch sind einige Fässer Salzfleisch und Schiffszwieback, ein Tönnchen Branntwein und einige Behälter mit Wasser auf dem Verdeck untergebracht worden, denen man etwas an Decken, Instrumenten, eine Bussole und Segelleinwand hinzufügt, um im Falle der Noth das Fahrzeug unverweilt verlassen zu können.
    Um acht Uhr Abends hören wir trotz des tobenden Orkanes ein entsetzliches Geräusch. Die Luken des Decks haben sich unter dem Druck der erhitzten Luft gehoben, und schwarzer Rauch wirbelt aus ihnen empor, so wie der Dampf unter der Platte des Sicherheitsventils an einem Dampfkessel ausströmt.
    Die Mannschaft eilt auf Robert Kurtis zu, als erwarte sie seine Befehle. Ein einziger Gedanke erfaßt uns, der, diesen Vulkan, der sich unter unseren Füßen öffnet, zu fliehen!
    Robert Kurtis schaut auf den Ocean hinaus, dessen Wogen sich schäumend überstürzen. Der Schaluppe vermag man sich jetzt nicht einmal zunähern; nur das Boot, welches in den Krahnen an der Steuerbordseite hängt, ist zu erreichen, so wie die kleine Jolle am Hintertheil des Schiffes. Die Matrosen stürzen auf das Boot zu.
    »Nein, ruft ihnen Robert Kurtis zu, nein! Das wäre ein zu verwegenes Spiel, sich jetzt dem Meere anzuvertrauen!«
    Einige Matrosen, Owen an der Spitze, wollen dennoch halb von Sinnen das Boot in's Meer herablassen. Da eilt Robert Kurtis nach dem Oberdeck und ergreift eine Axt:
    »Dem Ersten, der an die Taue rührt, ruft er, zerspalte ich den Schädel!«
    Die Matrosen ziehen sich zurück. Einige klettern in die Maschen der Strickleitern; Andere flüchten bis in die Mastkörbe.
    Um elf Uhr hört man im Kielraum heftige Detonationen. Die Zwischenwände springen, und öffnen der heißen Luft und dem Rauche den Weg. Sofort wälzen sich Dampfströme aus der Treppenkappe der Mannschaftskajüte, und eine lange Flamme leckt am Besanmast in die Höhe.
    Da tönt ein Schrei. Mrs. Kear verläßt, unterstützt von Miß Herbey, ihre Cabine, welche das Feuer erreicht. Dann erscheint Silas Huntly, das Gesicht von Rauch geschwärzt, und ruhig begiebt er sich, nach einem Gruße gegen Robert Kurtis, nach der Strickleiter des Besanmastes.
    Die Erscheinung Silas Huntly's erinnert mich noch an einen anderen Menschen, der unter dem Oberdeck eingeschlossen geblieben ist, in der Cabine, welche die Flammen in kurzer Zeit verzehren müssen.
    Soll man den unglücklichen Ruby umkommenlassen? Ich eile nach der Treppe ... da zeigt sich der Irrsinnige, der seine Fesseln gesprengt hat, schon mit verbrannten Haaren und brennenden Kleidern. Ohne einen Schrei auszustoßen, geht er auf dem Verdecke. Ihn brennt es nicht an die Füße. Er stürzt sich in die Rauchwirbel hinein, der Rauch erstickt ihn nicht! Er macht den Eindruck eines menschlichen Salamanders, der durch die Flammen geht! Eine neue Detonation! Die Schaluppe berstet; die Luke in der Mitte fliegt in die Höhe und zerreißt die übergedeckten Segelstücken. Eine Feuergarbe schießt bis zur Hälfte des Hauptmastes empor.
    Da stößt der Irrsinnige ein schreckliches Geschrei aus und ruft:
    »Das Pikrat! Das Pikrat! Wir fliegen Alle in die Luft! Alle! Alle!«...
    Noch ehe es möglich ist, ihn zurück zu halten, springt er durch die Luke in den glühenden Abgrund.

XIV.
    Während der Nacht des 29. Oktobers. –
    Die Scene war schrecklich, und erfüllte trotz der verzweifelten allgemeinen Lage Jedermann mit Entsetzen.
    Ruby existirt nicht mehr, doch eines seiner letzten Worte sollte noch die traurigsten Folgen haben.
    Die Matrosen haben ihn rufen hören: »Das Pikrat! Das Pikrat!« Sie sind unterrichtet, daß das Schiff jede Minute in die Luft gehen kann unddaß sie nicht nur die Feuersbrunst, sondern auch die gräßlichste Explosion bedroht.
    Einige Leute, die ganz außer sich sind, wollen um jeden Preis und ohne Verzug entfliehen.
    »Das Boot! Das Boot!« rufen sie.
    Sie sehen es nicht, nein, sie wollen es nicht sehen, diese Verblendeten, daß das Meer in wilder Empörung ist, daß kein Boot ihm trotzen kann, ohne von den furchtbaren, schäumenden Wellen verschlungen zu werden. Nichts vermag

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