Der Chancellor
den Seegang. Es liegt auf der Hand, daß sie das Floß nicht erreichen, noch an Bord zurückgelangen werden, denn Wind und Wellen haben sie gegen sich. Robert Kurtis schlingt sich einen Strick um den Leib und versucht ihnen zu Hilfe zu eilen. Vergeblich! Noch bevor er sie erreicht hat, sehe ich die drei Unglücklichen, welche mit aller Macht sich zu halten suchen, langsam verschwinden, nachdem sie vergeblich die Arme nach uns ausgestreckt haben.
Man zieht Robert Kurtis wieder heran, der selbst bei dem wildbewegten Wasser nicht ohne Verletzung an Bord gelangt.
Inzwischen mühen sich Daoulas und seine Leute mittels Balken, die sie als Ruder gebrauchen, ab, dem Schiffe wieder nahe zu kommen, doch erst nach einer Stunde – eine Stunde, die uns eine Ewigkeit scheint und während der das Wasser bis zu den Mastkörben steigt, – gelingt es, das Floß, welches sich auf zwei Kabellängen von uns entfernt hatte, neben den Chancellor zu legen. Der Bootsmann wirft Daoulas eine Leine zu, und das Floß wird noch einmal an die Mastseile des Großmastes angebunden.
Jetzt ist kein Augenblick zu verlieren, denn ein furchtbarer Wirbel entsteht rings um den gesunkenen Schiffsrumpf, aus dem starke Luftblasen in großer Menge aufsteigen.
»Einschiffen! Einschiffen!« rief Robert Kurtis.
Wir stürzen auf das Floß. André Letourneurbeobachtet erst, daß auch Miß Herbey auf dasselbe gelangt, und erreicht dann selbst glücklich die Plateform, wohin sein Vater ihm unmittelbar folgt. In kürzester Zeit sind wir Alle eingeschifft, – Alle, bis auf den Kapitän Robert Kurtis und den alten Matrosen O'Ready.
Robert Kurtis steht noch auf dem Mastkorbe des Großmastes und will sein Schiff nicht eher verlassen, als bis es in den Abgrund versinkt; das ist seine Pflicht und sein Recht. Man fühlt es mit, daß ihm fast das Herz bricht, da er den Chancellor, den er liebt und befehligt, aufzugeben gezwungen ist!
Der Ire ist im Mastkorbe des Besanmastes geblieben.
»Schiffe Dich ein, Alter! ruft ihm der Kapitän zu.
– Geht das Schiff schon unter? fragt der Starrkopf mit der größten Gleichgiltigkeit.
– Es sinkt geraden Wegs hinab.
– Er schifft sich schon ein«, antwortet O'Ready, als ihm das Wasser bis an den Gürtel gestiegen ist.
Kopfschüttelnd begiebt er sich nach dem Flosse.
Noch einen Augenblick verweilt Robert Kurtis auf dem Mastkorbe, wirft einen Blick ringsum und verläßt als der Letzte sein Fahrzeug.
Es ist die höchste Zeit. Die Taue werden gekappt, und langsam treibt das Floß ab.
Unser Aller Augen sind nach der Stelle gerichtet, an der das Schiff untergeht. Erst verschwindet die Spitze des Besanmastes, dann die des Großmastes, und nun ist – Nichts mehr sichtbar von dem schönen Schiffe, das vorher der Chancellor hieß.
XXX.
Fortsetzung vom 7. December. –
Jetzt trägt uns also ein anderer schwimmender Apparat; versinken kann er zwar nicht, denn die Balken, aus denen er besteht, müssen unter allen Verhältnissen auf der Oberfläche bleiben. Doch wird ihn das Meer nicht zertrümmern?
Wird es nicht die Taue zerreißen, die ihn verbinden?
Von achtundzwanzig Personen, die der Chancellor bei seiner Abfahrt von Charleston trug, sind schon zehn umgekommen.
Wir sind noch achtzehn, – achtzehn auf einem Flosse, das auf vierzig Fuß Länge eine Breite von etwa zwanzig Fuß bietet.
Hier folgen die Namen der Ueberlebenden: Die Herren Letourneur, der Ingenieur Falsten, Miß Herbey und ich, als Passagiere; Kapitän Kurtis, Lieutenant Walter, der Hochbootsmann, der Steward Hobbart, der Koch Jynxtrop, der Zimmermann Daoulas; – endlich die sieben Matrosen Austin, Owen, Wilson, O'Ready, Burke, Sandon und Flaypol.
Hat uns der Himmel in den zweiundsiebenzig Tagen seit unserer Abfahrt von der amerikanischen Küste nun hinreichend geprüft, und seine Hand schwer genug auf uns gelegen? Auch der Vertrauensvollste würde das nicht zu hoffen wagen.
Doch, lassen wir die Zukunft, denken nur an die Gegenwart, und fahren wir fort die Scenen diesesDramas in der Reihenfolge, wie sie sich entwickeln, zu registriren.
Die Passagiere des Flosses sind bekannt. Welches sind aber ihre Hilfsmittel?
Robert Kurtis hat nichts Anderes einschiffen lassen können, als was von den schon aus der Kombüse entnommenen Provisionen übrig war, deren größter Theil damals, als das Verdeck des Chancellor überfluthet wurde, verdorben ist. Nur wenig verbleibt uns, wenn man bedenkt, daß achtzehn Personen zu ernähren sind, und wie lange es dauern kann,
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