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Der Chancellor

Titel: Der Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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betrachten das Gewitter von einem ganz eigenen Gesichtspunkte, und eine volle Stunde höre ich sie davon schwärmen und es herbei wünschen.
    Inzwischen hat sich das Firmament allmälig hinter schweren Wolken versteckt, und die Sterne im Zenith erlöschen einer nach dem anderen, kurze Zeit nachdem die Sternbilder des Thierkreises verschwunden sind. Die dichten schwarzen Dunstmassen ballen sich über unserem Haupte, und verschleiern auch die letzten Lichter des Himmels. Jeden Augenblick erglänzt die Masse droben in fahlem Lichtscheine, von dem sich kleine graue Wolken abheben.
    Bis jetzt hat sich die ganze in den Lüften angesammelte Elektricität geräuschlos entladen. Da die Luft aber sehr trocken, und in Folge dessen ein sehr schlechter Leiter ist, so kann sie zuletzt doch nur in furchtbaren Schlägen zur Ausgleichung kommen, und es scheint mir unmöglich, daß das Gewitter nicht in kürzester Zeit mit voller Wuth ausbrechen sollte.
    Robert Kurtis und der Hochbootsmann sind der nämlichen Ansicht. Letzteren leitet nur sein unfehlbarer seemännischer Instinct; der Kapitän dagegen verbindet mit diesem Instincte des » weather-wise « auch noch die Kenntnisse des gebildeten Meteorologen. Es scheint mir, als bilde sich über uns eine dicke Wolkenschicht, die die Wetterkundigen » cloud-ring « nennen, und welche sich fast allein in der heißenZone bildet, die mit all' dem Wasserdampfe überladen ist, den die Passatwinde ihr von allen Theilen des Oceans aus zuführen.
    »Ja, Herr Kazallon, sagt Robert Kurtis zu mir, wir befinden uns in der Region der Gewitterstürme, denn der Wind hat unser Floß bis nach der Zone verschlagen, in der ein sehr feinhöriger Beobachter eigentlich unausgesetzt ein Rollen des Donners hören müßte.
    – Mir scheint, antworte ich aufmerksam lauschend, als hörte ich jenes fortwährende Rollen, von dem Sie sprechen.
    – Ich auch, sagt Robert Kurtis, jetzt ist das aber das erste Grollen des Gewitters, das binnen zwei Stunden in größter Heftigkeit wüthen wird. Nun, wir sind bereit, es zu empfangen.«
    Keiner von uns denkt nur entfernt daran, zu schlafen; Niemand würde es auch im Stande sein, denn die schwüle Luft ist zum Ersticken. Die Blitze werden deutlicher, durchzucken den Horizont in einer Ausdehnung von hundert bis hundertundfünfzig Graden und setzen den ganzen Umkreis des Himmels in Flammen, während eine Art phosphorescirende Helligkeit sich in der Atmosphäre entwickelt.
    Endlich wird das Rollen des Donners deutlicher und stärker; doch besteht es, wenn man so sagen darf, noch aus einem abgerundeten Tone, ohne scharfe Accente, aus einem Grollen, das noch kein Echo weckt. Das Himmelsgewölbe erscheint wie gepolstert mit diesen Wolken, deren Elasticität den Schall der elektrischen Entladungen erstickt.
    Noch ist das Meer ruhig, schwer, fast stagnirend geblieben. Bei den langen Wellenbergen, welche sich zu erheben anfangen können sich die Seeleute abernicht mehr täuschen. Für sie ist das Meer »dabei, sich zu machen«, und in der Ferne wird jetzt schon ein Sturm ausgebrochen sein, dessen Rückwirkung es empfindet. Der entsetzliche Wind kann nicht mehr fern sein, und ein Schiff würde man aus Vorsicht schon jetzt ihm gerade entgegenstellen; aber mit dem Flosse ist nicht zu manoeuvriren, ihm bleibt nichts übrig, als vor dem Unwetter her zu fliehen.
    Um ein Uhr Morgens zeigt uns ein greller Blitz, dem nach wenigen Secunden ein prasselnder Donnerschlag folgt, daß das Gewitter nun über uns ist. Der Horizont verschwindet plötzlich vor einem dichten Dunste, der sich massenhaft auf das Floß niederzusenken scheint.
    Da läßt sich die Stimme eines Matrosen vernehmen:
    »Da wälzt er sich heran! Der Sturm! Der Sturm!«

XXXV.
    Die Nacht vom 21. zum 22. December. –
    Der Bootsmann stürzt nach dem Jöllseile, welches das Segel hält, und sofort wird die Stenge herabgelassen. Es war hohe Zeit, denn der Sturmwind braust furchtbar über uns hin. Ohne den warnenden Zuruf des Matrosen wären wir wohl halb umgeworfen worden. Das Zelt am Hintertheile reißt ein Windstoß weg.
    Wenn das Floß nun auch vom Winde nicht mehr viel zu fürchten hat, da es zu flach ist, umihm viel Angriffsfläche zu bieten, so ist das desto mehr bezüglich der ungeheuren Wellen der Fall, die der Orkan aufthürmt. Wenige Minuten hindurch schienen die Wogen wie niedergehalten und abgeplattet durch den Druck der Luftschichten; desto wüthender aber schwellen sie jetzt mehr als vorher in die Höhe.
    Das Floß folgt

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