Der Chefarzt
von diesem Blick löste. Er dachte darüber nach und wunderte sich, daß dieser Vorgang so lange nur sein Unbewußtes angesprochen hatte.
Er lud sie zu einem Ausflug ein.
Hinter ihnen blieben Wolken von weißem Staub zurück. Der Weg war nur zum Teil asphaltiert, die Bäume zu beiden Seiten mehrere Kilometer weit abgeholzt. Sie sahen, von Erdbeerpflanzen überwuchert, Baumstümpfe und halb verfallene Holzhütten, früher wohl von Waldarbeitern benutzt.
»Ihr Schweigen ist wenig mitteilsam«, versuchte er zu scherzen. »Ich wage mir kaum auszumalen, was in Ihrem Kopf vorgeht.« Er versuchte, die Unsicherheit zu unterdrücken, die ein beunruhigender Gedanke verursachte. ›Was will ich von ihr?‹ fragte er sich. ›Doch nicht etwa eine Liebelei anfangen?‹
Er sah, wie sie unter seinem fragenden Blick unruhig wurde.
»Geben Sie mir etwas Zeit«, bat sie, »alles ist so schnell und überraschend gekommen, Sie und diese völlig unerwartete Fahrt … Diese Stapel liegengebliebenen Holzes und der Rest dieses wunderschönen Tages …«
Sie verbrachten den Abend in einem überfüllten Berghotel, wo er mit Mühe zwei Zimmer reserviert hatte. Das Hotel war gepflegt, die Küche vorwiegend schwäbisch.
Das Restaurant war um diese Zeit voll, für sie wurde ein Tisch am Fenster freigehalten. Sie unterhielten sich angeregt und fast ohne Unterbrechung. Ihr glückliches Gesicht zeigte ihm, daß sie nicht nur die Speisen genoß. Ihm erging es ähnlich. Sie war nicht nur hübsch, fand er, ihre Intelligenz war erstaunlich, sie hatte Einfühlungsvermögen.
Jetzt hatte Bertram endlich, was er sich ein Leben lang wünschte: eine reizvoll aussehende Frau, deren Intelligenz ihren Charme nicht schmälerte, ihn sogar noch verstärkte. An diesem Abend ließ er ihr Gesicht nicht aus den Augen. Sie tranken zwei Flaschen von einem guten, herben Wein und verließen als letzte das Restaurant.
Er begleitete sie bis zur Türe ihres Zimmers und verabschiedete sich etwas förmlich. Später, er lag schon im Bett, mit geschlossenen Augen und etwas benebeltem Kopf, kam ihm der Gedanke: ›Möglicherweise ist sie jetzt von mir enttäuscht.‹
Hätte er nicht mit ihr aufs Zimmer gehen sollen, wie die jungen Frauen es heute gleich erwarten? War nicht dieses etwas eingemottete Gefühl, Kavalier zu sein, in Wirklichkeit Angst vor einer Enttäuschung? Obwohl er aufgrund seiner eigenen begrenzten Erfahrung kein generelles Urteil zu fällen wagte, sagte er sich: ›Schließlich ist es immer eine Enttäuschung, das erste Mal mit einer Frau zu schlafen.‹ Es war keine. In der Nacht darauf vergrub Hana ihr von Tränen nasses Gesicht unter seinem nackten Arm, und ihre Stimme klang in der Dunkelheit unerwartet klar: »Ich habe mich unsterblich, besinnungslos verliebt.« Es war eine Feststellung.
Nach zwei Tagen fuhren sie zurück in die Klinik und während der Fahrt sagte er sich: ›Jetzt hast du alles erreicht, was sich ein Mann erträumen kann, vor allem diese wunderbare Frau neben dir, die das überschäumende Glück auf ihrem Gesicht nicht zu verbergen sucht. Vielleicht meint es das Schicksal diesmal gut mit mir. Es ist an der Zeit. Ich bin viel zu lange allein gewesen. Jetzt ist Schluß damit. Hier findet meine Flucht vor der Vergangenheit ein Ende. Das neue Leben kann beginnen.‹
6
»Du mußt unbedingt zurückkommen«, sagte Stephan Thimm, »du hast deinem verdammten Stolz Genüge getan.«
»Ich will nicht zurück.« Bertram schob sein Stethoskop in die rechte Kitteltasche und sagte: »Danke, Stephan. Du kannst dich wieder anziehen. Bei dir hat sich nichts geändert. Du bist gesund. Wenn die Laborbefunde eine Überraschung im Stoffwechselbereich ergeben, lasse ich dir die Ergebnisse zukommen. Ich halte es für unwahrscheinlich.«
Mit einem Blick auf Stephans mageren Oberkörper fügte er hinzu: »Ich glaubte, diese Untersuchung wäre der Grund deines Herkommens.«
»Ich lasse mich, das weißt du, von keinem anderen untersuchen. Doch ich denke auch an die unbeantworteten Briefe und fange an, deine Ablenkungstaktik zu durchschauen. Dem Alten tut die Geschichte mit dir leid. Er kann es immer noch nicht verschmerzen, daß du von ihm weggegangen bist. In seinem Stolz hatte er es nie für möglich gehalten. Mit der Beförderung von Holländer wollte er dich noch fester an sich binden, noch abhängiger machen. Bei deiner Kündigung ist er aus allen Wolken gefallen.«
»Wirst du neuerdings von ihm darüber persönlich unterrichtet?«
»Er hat mit
Weitere Kostenlose Bücher