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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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hinausgeklettert. Da dacht' ich: Wenn er's hat können, kann ich's auch! Ich zog mich an und ließ mich hinunter. Dann rannte ich zum Gewächshaus hinunter, denn es fiel mir auf, daß es erleuchtet war. Und doch wußt' ich genau, daß der Lehrer das Licht gelöscht hatte, damals, als wir fortgegangen waren. Ich ging in den Vorraum – da brannte an der Decke eine Lampe und auch im Abteil, wo wir geräuchert hatten, brannte noch Licht. Dort drin lag der Ernst auf dem Boden, sein Kopf ruhte auf den verschränkten Armen und seine Beine waren ganz verdreht… Da bin ich hinausgestürzt, weiter gelaufen und weiter, um Euch zu holen, Herr Studer. Denn etwas ist mir aufgefallen: Ich wollte doch die Tür aufreißen, um dem Ernst zu helfen – aber sie war verschlossen – und der Schlüssel steckte innen. Das kann ich beschwören. Ich dachte, der Ernst habe Selbstmord begangen. Was glaubt Ihr ? Hat er es getan? Er wußte doch genau, daß das Gewächshaus voll Blausäuregas war, er wußte doch, daß es lebensgefährlich war, einzutreten.«
    Schweigen… Studer hockte rittlings auf dem Sessel und hatte das Kinn auf die Unterarme gestützt, die verschränkt auf der Lehne lagen.
    »So…« Er hob den Kopf und nickte, nickte…
    »So… ist das Ernstli also tot!« Und er fühlte sich mitschuldig am Tode des Burschen und erinnerte sich an dessen Gesicht: die Nase wuchs daraus hervor und war so lang, daß sie wie verzeichnet aussah. Hatte der Bursche den Tod gesucht, weil ein Fahnder seinen Schrank untersucht und darin einen blutbesudelten Schlafanzug entdeckt hatte?
    »Ruf den Direktor, Ludwig!« sagte Studer müde. Er wies mit dem Daumen auf die Tür des Nebenzimmers. Schüchtern klopfte das Knechtlein an. »Herein!«
    »Ihr sollet zum Herrn Studer kommen!« Ein Gemurmel war zu hören, das Zurückschieben eines Stuhles, Schritte alsdann und eine Stimme fragte:
    »Was wollt ihr, Wachtmeister?«
    »Ihr müßt mich zum Gewächshaus begleiten…«
    »Ist etwas Ungrades passiert?«
    »Ja… Der Äbi Ernst ist tot. Liegt im Gewächshaus. Habt Ihr eine dünne Zange?«
    »Zange?« wiederholte Herr Sack-Amherd. »Ich glaub', es hat eine in der Werkzeugkiste im Gang vor den… vor den Abteilungen, die…«
    »So kommt«, seufzte Studer und stand auf. Ihm war, als liege eine Zentnerlast auf seinen Schultern und doch fror ihn. Schauer – kalt wie Eiswasser – rieselten ihm über den Rücken. Aber er riß sich zusammen.
    »Du begleitest uns, Ludwig!« befahl er und trat auf den Gang. Als er stehenblieb, um auf seine Begleiter zu warten, hörte er die Saaltochter drinnen sagen, Ludwig solle auf sich aufpassen… Damit ihm nichts geschehe! Aber das Knechtlein blieb stumm.
    Am Fuße der Treppe machte Studer noch einmal halt.
    »Wo ist der Hausvater?« fragte er.
    »Er hat mir gute Nacht gewünscht und ist über die Laube heim. Denn, behauptete er, das Ganze interessiere ihn nicht. Er habe Wichtigeres zu tun. Daheim warte sein Freund Münch auf ihn und er habe noch eine Besprechung mit ihm vereinbart. Über das Testament von Farny…« Sack-Amherd seufzte, und dieser Seufzer klang nach Neid. Sicher mißgönnte der Direktor der Gartenbauschule seinem Freunde Hungerlott das Glück, durch eine Erbschaft reich zu werden. Studer dachte daran, ob er den Seufzer richtig verstanden habe und fragte deshalb im Gehen: »Wissen Sie etwas Näheres über dies Testament?« Sack-Amherd sog die Föhnluft ein, stieß den Atem rasselnd wieder aus und erzählte dann, der verstorbene Farny James habe nach dem Tode der Frau Hungerlott sein Testament geändert und den Hausvater zum Erben eingesetzt.
    »Soo… soo…«, meinte der Wachtmeister gedehnt.
    Da war das Gewächshaus. Drei Stufen führten in einen Gang, dessen linke Seite ein langer Tisch einnahm. Seine Platte bestand aus Zement und war in die Mauer eingelassen.
    Drei Häuflein lagen darauf: Sand, Torfmull, feingesiebter Kompost. Und Studer begann zu spielen: seine Linke nahm Torfmull, seine Rechte Sand – dann spreizte er die Finger; langsam wurden die Hände leichter, es war ein merkwürdiges Gefühl, zu spüren, wie das Gewicht schwand. Wann würde die andere Last von seiner Seele fallen, die Schuld, die ihn quälte? War seine Abwesenheit, heute nachmittag, wirklich ein Fehler gewesen? Studer wandte dem Tische den Rücken und reinigte sich die Hände.
    »Wo liegt er?« fragte er; denn zwei Türen sah er vor sich. Schweigend deutete Ludwig auf die eine; ihr oberer Teil war aus Glas, während der untere

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