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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Schlüssel, sperrte auf und trat ein.
    Ernst Äbi lag auf dem Boden und seine Schultern waren verkrampft. Der Wachtmeister ließ sich auf ein Knie nieder, drehte den Körper um, fuhr mit der Hand unter die Weste – das Herz schlug nicht mehr. Um ganz sicher zu gehen, hielt Studer noch einen runden Spiegel vor die Lippen des Liegenden – das Glas trübte sich nicht.
    Nun erst begann er, die Taschen des Toten zu durchsuchen. In der Kitteltasche fand er eine Schleuder, wie sie Buben zum Schießen auf ›Vögel‹ benutzen. Der Wachtmeister nickte und ließ das Spielzeug in seiner Tasche verschwinden. In der Busentasche ein Portefeuille, abgegriffen, angefüllt mit Zeugnissen; auch dieses steckte Studer ein. In der rechten Hosentasche ein Portemonnaie… Inhalt: eine Zwanzigernote, ein Fünfliber, Münz. In der linken: eine Schachtel mit weißen Pillen. Studer stand auf. Er roch an den Pillen, nahm eine in die Hand, berührte sie mit der Zungenspitze… Sie schmeckte bitter. Er hielt dem Direktor die Schachtel hin: »Kennen Sie das?« fragte er. Herr Sack-Amherd schüttelte den Kopf. Da aber mischte sich der Lehrer Wottli ins Gespräch. – Der Herr Direktor werde sich wohl erinnern, es sei Uspulun, das neue Beizmittel für Cyklamensamen, das jene deutsche chemische Fabrik zu Versuchszwecken gesandt habe. Vor drei Wochen… Ernst Äbi habe den Auftrag erhalten, Versuche mit dem Mittel anzustellen: Welche Konzentration am günstigsten sei, wie lange die Samen in der Flüssigkeit liegen bleiben müßten.… Der… der Tote habe auch eine Tabelle ausgearbeitet; sicher werde sie in seinem Pulte zu finden sein…
    – Und was, fragte Studer, enthalte nach Herrn Wottlis Ansicht das Mittel?
    – »Arsen… Es ist eine organische Arsenverbindung…«
    »So, so«, nickte Studer. »Arsen! Seid Ihr sicher?«
    »Ganz sicher, Herr Wachtmeister…«
    Wieder Stille. Das Summe einer Winterfliege war deutlich zu hören. Noch einmal ließ sich Studer aufs Knie nieder, legte Zeige- und Ringfinger auf die Lider des Toten und schloß dem Ernst die Augen.
    Dann stand er auf, klopfte sich den Staub von der Hose – und da hörte er hinter sich eine Stimme:
    »'s isch nid möglich! Myn Sohn! Myn Sohn!«
    Studer wandte sich brüsk um, im Türrahmen stand sein Partner im Jaßspiel, rot leuchtete seine lange Nase…
    Was er hier zu suchen habe, schnauzte ihn der Wachtmeister an.
    – Es sei sein Sohn! Es sei sein Sohn!… Der Mann hatte sein Nastuch gezogen, rieb sich die Augen, schneuzte sich…
    – Er solle hier kein Theater aufführen, sagte Studer barsch, denn die Augen des Mannes waren trocken und auch das Schneuzen wirkte nicht überzeugend. – Wer ihn hier hereingelassen habe?
    – Er sei der Gruppe gefolgt, sagte Vater Äbi mit weinerlicher Stimme, und er wisse nicht, wie er die Trauernachricht seiner Frau mitteilen solle…
    – Wenn er sich nicht getraue, es zu tun (Studers Stimme war immer noch ungeduldig), so wolle er gern nach Bern telephonieren und einem Gefreiten der Stadtpolizei den Auftrag geben, in die Aarbergergasse zu gehen und die Mutter schonungsvoll vorzubereiten. Aber vielleicht wolle der Ludwig gehen? He? »Wann warst du zuletzt bei der Mutter?« Das Knechtlein schüttelte gequält den Kopf. Seine Augen waren mit Tränen gefüllt.
    »Zuerst der Onkel«, sagte es gequält, »dann der Bruder… Wann kommt die Mutter dran?«
    »Red' nid so dumm«, brummte Vater Äbi und Studer drehte erstaunt den Kopf; wann hatte sich der Mann dorthin geschlichen? Vor kurzer Zeit war er im Vorraum gewesen, jetzt stand er zu Häupten des Toten.
    »Was habt Ihr dort zu suchen?«
    »Suchen? Nüt!« Wieder der giftige Blick; dann schlich Arnold Äbi auf die Stufen zu. Seine Schritte waren unhörbar, weil er auf Gummisohlen lief. Studer trat in den Raum, in dem der Tote lag – und da erlebte er eine Überraschung. Er wollte den Schlüssel aufheben, den er aus dem Schloß gestoßen hatte, bückte sich… Statt des schwarzen, mit Rostflecken übersäten, fand er auf dem Boden einen neuen, blitzblanken. Der Wachtmeister prüfte die Türe – an ihrer Außenseite steckte immer noch der alte Schlüssel, den ihm Wottli gegeben hatte…
    Studer hielt den glänzenden Schlüssel in der Hand, ließ ihn im Lampenlicht funkeln, packte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ ihn tanzen. Warum war wohl der rostige Schlüssel durch diesen ersetzt worden? Warum? Leicht zu beantwortende Frage, wenn man annahm, daß es sich gar nicht um einen Selbstmord

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