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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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aus grüngestrichenem Blech bestand. Studer näherte sich, starrte dann lange durch die Scheiben, die leicht angelaufen waren, zog sein Taschentuch, um sie zu putzen – aber die winzigen Tropfen klebten innen. Darum sah auch der Körper, der auf dem Boden lag, so sonderbar verzerrt aus. Der Wachtmeister bückte sich und konnte den Griff des Schlüssels sehen, der innen aus dem Schloß ragte: er war schwarz angelaufen und mit roten Rostpünktchen übersät. Studer wandte sich um und fragte den Direktor:
    »Man darf wohl nicht eintreten, weil es gefährlich ist, oder? Kann man den Raum lüften?«
    – Doch, doch, man könne lüften, meinte Sack-Amherd und zeigte auf eine Kurbel. Mit dieser sei es möglich, die Oberfenster zu öffnen, die im Dach eingelassen seien. Ein Luftzug entstehe dann. Da aber der Direktor keine Lust zeigte, diese Arbeit zu verrichten, befahl der Wachtmeister dem Ludwig Farny, das Manöver auszuführen.
    Die Kurbel kreischte, und dieses Kreischen war gespenstisch in der Stille.
    »Jetzt müssen wir fünf Minuten warten«, sagte Herr Sack-Amherd…
    Studer kehrte zum Zementtisch zurück und, wie ein kleiner Bub, der gerne sändelet, spielte er mit Kompost und Torfmull. Er glättete die Haufen, zeichnete Runen darein, Kreuze, Kreise, Zickzacklinien – bis von der Türe her eine Stimme rief:
    »Wer hat die Fenster aufgemacht? Und meine Orchideen? Und meine Palmen?«
    Studer blickte nicht von seiner kindlichen Beschäftigung auf. Ganz leise sagte er:
    »Es liegt ein Toter im Raum, Herr Wottli.«
    »Ein Toter? Was für ein Toter? Es hat doch niemand den Raum betreten können!… Ich trag' doch den Schlüssel in der Tasche!«
    »So«, meinte der Wachtmeister müde, »den Schlüssel tragen Sie in der Tasche? Darf ich ihn sehen?«
    »Hier!«
    Der Schlüssel, den Studer in der Hand hielt, glich aufs Haar dem Schlüssel, der im Schlosse steckte: Auch er war schwarz und trug einige winzige Rostflecken…
    »Märci!« sagte Studer breit und ließ den Schlüssel in seiner Hosentasche verschwinden. »Besitzen Sie auch einen Schlüssel, Herr Direktor?«
    »Ich? Nein!«
    »Woher kommen Sie, Herr Lehrer?«
    »Interessiert Sie das, Herr Wachtmeister? Nun, ich habe zuerst den Vater des… des… Toten da drin in die Armenanstalt geführt. Wir haben aber beide nicht gewußt, daß Ernst Äbi tot war. Woher hätten wir das wissen sollen?« Studer senkte den Kopf, preßte sein Kinn auf die Brust und schielte von unten auf den Sprecher. Täuschte er sich? Ihm schien, als sei dieser Wottli etwas verschüchtert, mehr noch: ängstlich… Als wolle der Mann etwas verbergen…
    »Und dann?«
    »Dann kam ich zurück und trieb die Schüler, die vor dem Fenster der Beize standen, ins Hauptgebäude. Sie hatten da nichts zu suchen! Aber ich konnte ihrer nicht Herr werden. Keiner wollte ins Bett. Jetzt hocken sie alle unten im Klassenzimmer und diskutieren, diskutieren! Ich blieb eine Zeitlang bei ihnen, dann sah ich, als ich zum Fenster hinausschaute, daß im Gewächshause Licht brannte und kam her, um nachzusehen, was es da gebe. Denn ich erinnerte mich genau – ganz genau, daß ich das Licht ausgelöscht hatte. Jawohl!«
    »Und keiner der Schüler hat Ihnen verraten, daß in dem Gewächshaus ein Toter lag? Das ist merkwürdig. Alle haben sie doch den Ludwig gehört, der mir die Neuigkeit zurief…«
    Der Lehrer war nicht so leicht zu fangen. Ah, meinte er laut, jetzt verstehe er erst… Jetzt verstehe er, warum alle am Gewächshaus vorbeigehen wollten. »Ich aber wollte nicht, denn ich wußte, daß es gefährlich war, weil es mit Blausäuregas gefüllt war. Darum ging ich auf einem Wege…«
    »Und von diesem Wege konnten Sie nicht sehen, daß das Glashaus erleuchtet war?«
    »Es war doch neblig…«
    »Nein!« Studer sprach barsch, wiederholte: »Nein! Der Wind hat den Nebel schon lang auseinandergeblasen.« Dann lächelte er, hob den Kopf, blickte den Lehrer lange an und meinte: »Sie müssen nachlesen, was der alte Groß über Zeugenaussagen sagt!«
    Schweigen. Dann tönte es, als ob ein Zicklein zu meckern beginne… Direktor Sack-Amherd lachte; verschluckte sich und meinte dann: Die fünf Minuten seien schon lange vorbei.
    Fünf Minuten sind sonst lang, wenn man warten muß. Aber diesmal waren sie schnell vergangen. Studer entdeckte zwar die Werkzeugkiste, doch fehlte die kleine Zange. Merkwürdig… ! Dann gelang es ihm, den Schlüssel aus dem Schloß zu stoßen; drinnen fiel er auf den Boden. Studer nahm Herrn Wottlis

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