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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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schöpfen – füllte einzeln jeden Teller und brachte ihn einem Gast. Nun klapperten die Löffel gegen die Böden der Porzellanteller, Schlürfen war zu hören… »Es feins Süppli…!« – »Usgezeichnet!« – »Ja, er kann sich halt eine gute Köchin leisten…« Hungerlott nickte dankend und putzte seinen Spitzbart.
    Ganz zuunterst am Tisch, dort, wo man gewöhnlich die unwichtigen Gäste hinsetzt, saß Studer neben dem Knechtlein. Der Wachtmeister bewunderte den Anstand, mit dem Ludwig den Löffel hielt… Er schlürfte nicht – oben am Tisch jedoch ging es bedeutend lauter zu…

Unterbruch eines Mittagessens…
    »Nun, Herr Wachtmeister, wollen Sie uns nicht etwas aus Ihrer Karriere erzählen? Zum Beispiel die Geschichte mit der Bank? Damals waren Sie doch Kommissär an der Stadtpolizei und brauchten sich Ihre Freunde nicht unter entlassenen Armenhäuslern zu suchen? Oder?« Das Lachen, das entstand, schien dem Sprecher zu schmeicheln – Hungerlott beugte den Kopf, wie ein Schauspieler, der beklatscht wird.
    Ludwig Farny zuckte zusammen, er öffnete den Mund – aber Studer stieß ihn mit dem Fuß an: »Ruhig, Bürschtli…« flüsterte er, räusperte sich dann.
    »Ja, damals interessierte ich mich eben nicht für Pauperismus«, meinte er trocken. »Um den Pauperismus kennenzulernen, muß man wohl bei einem Hausvater zu Mittag essen…«
    Betretenes Schweigen. Die Jungfer begann die Teller abzuräumen – ihr spitzer Ellbogen traf Studers Schläfe. Der Wachtmeister blickte auf – das Mädchen besaß grüne Augen und sie waren mit Haß geladen. »Mhm«, brummte Studer. Münch hatte recht – man mußte aufpassen. Da das Schweigen anhielt, sprach Studer weiter: »Außer dem Ludwig hab' ich übrigens noch einen anderen Freund – und der bereitet mir Sorgen. Ich hoffte, ihn hier zu treffen. Können Sie mir sagen, wo der Notar Münch ist, Herr Hungerlott?«
    Der Hausvater war wirklich ein ausgezeichneter Schauspieler. Sein Gesicht verzog sich und drückte Erstaunen aus: »Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, daß der Notar am Morgen nach Bern zurückgefahren ist.«
    »Merkwürdig… Weder daheim noch in seinem Bureau konnt' ich ihn erreichen. An beiden Orten hab' ich angeläutet…«
    »Dann wäre es wohl klüger gewesen, Sie wären in die Stadt gefahren, nicht wahr?«
    Studer schwieg. Der Polizeihauptmann begann zu sprechen und beendete hiermit das erste Vorpostengefecht.
    Das Stubenmädchen schenkte aus einer verstaubten Flasche Rotwein in die Gläser – so zwar, daß der Wachtmeister und sein Schützling zuletzt bedient wurden. Dann wurde vor jeden der Gäste ein angewärmter Teller gestellt und eine Platte herumgereicht, auf der Milkenpasteten lagen. Auch diesmal wurden die beiden unten am Tisch zuletzt bedient…
    War es dem Reinhard, war es dem Murmann gelungen, ungesehen in die Armenanstalt einzudringen und das Arbeitszimmer des Hausvaters zu durchsuchen? Oder hatte Hungerlott diesen Zug pariert, indem er die Armenhäusler, die vorgestern abend in der Beize Krach geschlagen hatten – (Studer war sicher, daß er die gleichen Gesichter am 19. Juli gesehen hatte) – als Wache in den Gängen verteilt?
    »Trink nicht von dem Wein«, flüsterte Studer. Aber Hungerlott schien diese Warnung gehört zu haben, denn er stand auf, ging um den Tisch herum, mit jedem anstoßend – und jeder leerte hierauf sein Glas. Der Wachtmeister nippte an dem seinen und stellte es wieder ab, und Ludwig folgte seinem Beispiel. Der Hausvater erkundigte sich besorgt, ob der Wachtmeister krank sei? Auch Vater Äbi fragte seinen Stiefsohn, was denn los sei? Das sei guter Wein! Ludwig gab keine Antwort.
    – Ja, das sei immer so, klagte Vater Äbi. Mit Mühe und Not habe man seine Kinder aufgezogen, ihnen eine gute Erziehung gegeben – und wenn man sie dann in Gesellschaft führe, werde man blamiert…
    »Schwyg!« flüsterte Studer seinem Schützling zu, der protestieren wollte – Äbi sei nicht sein Vater! – Es war eine aufregende Situation… Gewiß, die Herren, die sich zum Zeitvertreib das Armenhaus ansehen wollten, riskierten nichts, aber ein simpler Fahnderwachtmeister, von dem der Täter wußte, daß er nicht an Darmgrippe glaubte, ein solcher Mann war gefährdet. Darmgrippe ist eine ansteckende Krankheit, besonders, wenn man nicht weiß, wieviel von den Kügeli verschwunden sind, die eine deutsche chemische Fabrik einer Gartenbauschule zur Prüfung geschickt hat. Solche Kügeli lösen sich leicht auf – und wenn man

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