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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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erzählt und ein anderer begann ein neues G'schichtli.
    Wieder Gelächter… Hungerlott füllte die Gläser… Anstoßen. Schwatzen… Dicker wurde der blaue Rauch. Studer stand am Fenster, blickte über das Land und fragte sich, warum die ganze Versammlung ihm gespenstisch vorkam – das Klirren der Gläser, das Trinken der appetitanregenden Schnäpse, das Lachen über die Witze, der Duft der Zehnerstumpen, der Zigaretten… Durchs Fenster konnte der Wachtmeister rechts den Friedhof sehen mit seinen Grabmälern aus weißem, aus rotem Stein, mit seinen schwarz gestrichenen Holzkreuzen – und seinen frischen Gräbern. Gerade gegenüber erhob sich die Wirtschaft ›zur Sonne‹, und rechts – etwa vierhundert Meter entfernt – stand breit und massig und weiß (nur das Dach trug dunkle Ziegel) die Gartenbauschule. Im Parterre waren die Fenster geöffnet, sie rahmten viele junge Köpfe ein, deren Augen wohl auf den gläsernen Würfel des Treibhauses gerichtet waren, in dem am vorgestrigen Abend einer den Tod gefunden hatte… Aber nicht die Aussicht auf die beiden nun erledigten Atmosphären quälte den Wachtmeister, auch nicht der Blick auf die vielen Obstbäume, die korrekt nach der Pfründisbergmethode gestutzt, ein wenig verkrüppelt aussahen. Nein, das Bedrückende, Unheimliche machte sich in seinem Rücken breit – ein Mörder, vielleicht gar zwei, taten unschuldig, um die letzte Partie zu gewinnen. Hatten sie Trümpfe in den Händen? Wollten sie etwas probieren? Glaubten sie, in Sicherheit zu sein, weil sie gestern versucht hatten, den gefährlichsten Zeugen zum Verschwinden zu bringen? Den Notar Münch? Und was drohte ihm, dem anwesenden Fahnder, der kein gutes Leumundszeugnis besaß und wenig Freunde?
    Hinter ihm sagte eine Stimme:
    »Sie nimmt sich viel zu wichtig, die Schroterei. Viel zu wichtig!«
    »Ganz myni Meinig!« antwortete eine zweite. Diese Stimme glaubte der Wachtmeister zu kennen. Er drehte ein wenig den Kopf, schielte aus den Augenwinkeln – natürlich! Der Arnold Äbi mußte seinen Senf geben. Er saß neben dem Ofen, in seinem dunklen, ausgebürsteten Sonntagsgewand, nickte von Zeit zu Zeit, sprach ein paar Worte, um den Ausspruch eines anderen zu bestätigen, kurz: er gab sich Mühe, kein Aufsehen zu erregen; er wagte es nicht, ein Bein übers andere zu schlagen… Aber während Studer ins Zimmer schielte, fesselte ihn ein anderes Gesicht: Schweigsam in einer Ecke saß das Knechtlein… Ludwig Farny hatte das rechte Bein über das linke gelegt und seine gefalteten Hände umspannten sein Knie. Auch sein billiger Anzug war sauber gebürstet – 's Huldi hatte wohl geholfen… Fast hochmütig wirkte sein starres Gesicht und die Augen, die so auffallend blau leuchteten, hatten sich an seinem Stiefvater festgesehen… Verachtung lag in ihnen und Stolz. Und, wahrhaftig, der Ludwig durfte stolz sein. Hatte er nicht aus den Gesprächen der Polizeileute erfahren, daß Farny James' Vermögen ihm zufallen würde und seiner Mutter? Daß die beiden Männer, die ihn gequält hatten, der eine als er noch klein war, der andere in späteren Jahren, nicht nur leer ausgehen würden, nein, daß ihnen nun auch die Zelle bevorstand, die dünne Suppe, der Zichorienkaffee? Das Knechtlein hob die Augen, seine Blicke blieben an des Wachtmeisters massiger Gestalt hängen, stiegen höher… Unmerklich nickten sich die beiden zu – eine Lachsalve knatterte wieder. Keiner der Anwesenden hatte das stumme Einverständnis dieser zwei bemerkt…
    Vinzenz Hungerlott trug einen schwarzen Gehrock, in der fertiggebundenen Plastronkrawatte steckte eine Nadel, deren falsche Perle kurz aufschimmerte, wenn der Spitzbart waagrecht stand. Ein Klopfen an der Türe, der Hausvater hob die Hände, um Schweigen zu gebieten… »Darf ich die Herren zum Essen bitten?« Der Aufbruch vollzog sich in guter Ordnung – aus den vielen Aschenbechern stiegen durchsichtige, schmale Bändchen gegen die Decke. Es ging durch einen Gang, über rote Steinfliesen (Bodenwichse hatte sie zum Glänzen gebracht), das Stubenmädchen öffnete eine andere Tür: »Wenn dr weit so guet sy…!«
    Ein Damasttischtuch spannte sich über die lange Platte, vor jedem Teller funkelten Kristallgläser von verschiedener Form (Studer fielen die Gläser ein, die an jenem Juliabend in der Schnapsbeize erschienen waren – Erbstücke wohl aus der Zeit, da die ›Sonne‹ noch ein ›Bad‹ gewesen war). Als die Gäste saßen, begann das Meitschi auf der Anrichte die Suppe zu

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