Der Chinese
Tage.«
Sie nickte, verneigte sich und verließ das Zimmer. Das wusstest du genau, dachte Birgitta Roslin empört, als sie die Sicherheitskette vor die Tür gelegt hatte. Warum fragst du danach? So leicht lass ich mich nicht täuschen. Sie stellte sich ans Fenster und sah hinunter auf die Straße. Die Polizisten kamen heraus und stiegen in einen Wagen, der sofort davonfuhr.
Sie legte sich aufs Bett. Was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, als die Polizistin das Zimmer betreten hatte, konnte sie noch immer nicht erklären.
Sie schloss die Augen und dachte, dass sie zu Hause anrufen sollte.
Als sie wach wurde, war es draußen dunkel. Die Empfindlichkeit in ihrer Kehle hatte nachgelassen. Aber der Überfall kam ihr jetzt fast bedrohlicher vor, sie hatte das eigentümliche Gefühl, dass er noch nicht geschehen war. Sie griff zu ihrem Handy und rief in Helsingborg an. Staffan war nicht zu Hause und meldete sich auch an seinem Handy nicht. Sie hinterließ Mitteilungen, überlegte dann, ob sie ihre Kinder anrufen sollte, unterließ es aber.
Sie dachte an ihre Tasche. Ging im Kopf noch einmal den Inhalt durch. Sechzig Dollar hatte sie verloren. Aber das meiste Bargeld hatte sie im kleinen Safe im Zimmer eingeschlossen. Ein Gedanke durchzuckte sie, und sie stand auf und öffnete den Kleiderschrank. Der Safe war verschlossen. Sie tippte den Kode ein und ging den Inhalt durch. Es fehlte nichts. Sie machte die Safetür zu und verschloss sie. Immer noch dachte sie darüber nach, warum sie das Auftreten der Polizistin so sonderbar fand.
Sie stellte sich an die Tür und versuchte zu verstehen, was sie im Bild ihrer Erinnerung nicht zu fassen bekam. Ihre Anstrengung war vergeblich. Sie legte sich wieder aufs Bett. Blätterte im Kopf noch einmal die Fotografien durch, die die Polizistin aus dem Aktenkoffer genommen hatte.
Plötzlich setzte sie sich auf. Sie hatte die Tür geöffnet. Die Polizistin hatte ihr durch eine Geste bedeutet, zur Seite zu treten. Dann war sie schnurstracks zu den Stühlen am Fenster gegangen. Sie hatte keinen einzigen Blick zur Seite geworfen, weder durch die geöffnete Badezimmertür noch zu dem Teil des Zimmers, wo das große Doppelbett stand. Birgitta Roslin hatte dafür nur eine Erklärung: Die Polizistin war schon vorher im Zimmer gewesen. Sie brauchte sich nicht umzusehen. Sie wusste, wie es hier aussah.
Birgitta Roslin starrte auf den Tisch, auf dem der Aktenkoffer mit den Bildern gelegen hatte. Ein zunächst verwirrender Gedanke wurde immer deutlicher. Sie hatte keines der Gesichter gekannt, die ihr vorgelegt worden waren. Wenn es nun nur das war, was die Polizisten kontrollieren wollten? Dass sie niemanden identifizieren konnte? Es ging gar nicht darum, dass sie einen Täter fassen wollten. Es war umgekehrt. Die Polizei wollte sich vergewissern, dass sie wirklich nichts gesehen hatte.
Aber warum? Sie stellte sich ans Fenster. Sie dachte wieder, wie schon in Hudiksvall: Was geschehen ist, ist zu groß, zu rätselhaft.
Die Angst überfiel sie, ohne dass sie sich ihrer erwehren konnte. Es dauerte mehr als eine Stunde, bevor sie es schaffte, ins Hotelrestaurant hinaufzufahren.
Bevor sie durch die Glastüren des Restaurants trat, blickte sie sich um. Aber es war niemand da.
Birgitta Roslin wachte weinend auf. Karin Wiman hatte sich im Bett aufgesetzt und ihr vorsichtig an die Schulter gefasst, um sie zu wecken.
Als Karin sehr spät am Abend zurückgekommen war, hatte Birgitta geschlafen. Um nicht wach zu liegen, hatte sie eine Schlaftablette genommen, was sie nur selten tat.
»Du träumst«, sagte Karin. »Etwas Trauriges, weil du weinst.«
Aber Birgitta erinnerte sich an keinen Traum. Die innere Landschaft, die sie abrupt verlassen hatte, war vollkommen leer.
»Wie viel Uhr ist es?«
»Bald fünf. Ich bin müde, ich muss noch schlafen. Warum weinst du?«
»Ich weiß es nicht. Ich muss geträumt haben, auch wenn ich nicht weiß, was.« Karin legte sich wieder hin. Kurz darauf war sie wieder eingeschlafen. Birgitta stand auf und öffnete die Gardine einen Spaltweit. Der frühe Morgenverkehr war schon in Gang gekommen. An ein paar Flaggen, die an ihren Leinen zerrten, konnte sie sehen, dass es einen weiteren windigen Tag in Peking geben würde.
Die Angst kehrte zurück. Aber sie nahm sich vor, Widerstand zu leisten, genauso wie sie reagiert hatte, wenn sie als Richterin bedroht worden war. Noch einmal ließ sie im Kopf
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