Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
selben Wasser zu schwimmen schienen wie sie selbst; auf und ab wippende Köpfe auf dem Weg, den Großen Steuermann zu empfangen, wenn er nach einer langen und kraftvollen Schwimmtour zum Ufer zurückschwimmt.
     
    Als sie wieder erwachte, lag sie in einem Zimmer mit gedämpftem Licht und vorgezogenen Gardinen. Auf einem Stuhl neben der Tür saß ein Mann in Uniform. Als er sah, dass sie die Augen öffnete, stand er auf und verließ den Raum. Sogleich kamen zwei weitere Männer ins Zimmer, ebenfalls in Uniform. In ihrer Begleitung war ein Arzt, der sie in einem amerikanisch gefärbten Englisch ansprach. »Wie fühlen Sie sich?«
     
    »Ich weiß nicht. Ich bin müde. Mein Hals tut weh.« 
    »Wir haben Sie gründlich untersucht. Sie haben den unglücklichen Vorfall unbeschadet überstanden.« 
    »Warum liege ich hier? Ich will zurück in mein Hotel.« Der Arzt beugte sich tiefer zu ihr hinab. »Zuerst muss die Polizei mit Ihnen reden. Wir finden es nicht gut, wenn fremden Besuchern in unserem Land etwas zustößt. Es führt dazu, dass wir uns schämen. Die Männer, die den brutalen Überfall auf Sie begangen haben, müssen gefasst werden.«
     
    »Aber ich habe doch nichts gesehen.«
     
    »Sie müssen nicht mit mir sprechen.«
     
    Der Arzt stand auf und nickte den beiden Uniformierten zu, die ihre Stühle an ihr Bett zogen. Der Jüngere dolmetschte, während der Mann, der die Fragen stellte, um die sechzig Jahre alt war. Er trug eine getönte Brille, so dass sie seinen Blick nicht erkennen konnte. Er begann, Fragen zu stellen, ohne dass einer von beiden sich vorgestellt hätte. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass der ältere Mann sie ganz und gar nicht mochte. »Wir müssen wissen, was Sie gesehen haben.«
     
    »Nichts. Es ging so schnell.«
     
    »Die Zeugen haben einstimmig ausgesagt, dass die beiden Männer nicht maskiert waren.«
     
    »Ich weiß nicht einmal, dass es zwei waren.«
     
    »Was haben Sie von dem Vorfall mitbekommen?« 
    »Jemand legte mir einen Arm um den Hals. Sie kamen von hinten. Sie rissen meine Tasche an sich und schlugen mich in den Bauch.«
     
    »Wir müssen alles über diese beiden Männer wissen, was Sie uns sagen können.«
     
    »Aber ich habe nichts gesehen.«
     
    »Keine Gesichter?«
     
    »Nein.«
     
    »Haben Sie ihre Stimmen gehört?«
     
    »Ich habe nicht gehört, dass sie etwas sagten.«
     
    »Was war unmittelbar vor dem Überfall?«
     
    »Ein Mann hat einen Scherenschnitt von mir gemacht. Ich hatte bezahlt und wollte gerade weitergehen.« 
    »Haben Sie etwas gesehen, während Ihre Silhouette geschnitten wurde?«
     
    »Was hätte ich da sehen sollen?«
     
    »Jemanden, der wartete.«
     
    »Wie oft soll ich noch sagen, dass ich nichts gesehen habe?« Als der Dolmetscher ihre Antwort übersetzt hatte, beugte sich der Polizist vor und erhob die Stimme. »Wir stellen diese Fragen, weil wir die Männer fassen wollen, die Sie niedergeschlagen und Ihre Tasche geraubt haben. Deshalb müssen Sie antworten, ohne die Geduld zu verlieren.«
     
    Die Worte schlugen ihr entgegen wie eine Serie schneller Ohrfeigen.
     
    »Ich sage nur, wie es ist.«
     
    »Was war in Ihrer Tasche?«
     
    »Etwas Geld, chinesisches, amerikanische Dollar. Ein Kamm, ein Taschentuch, ein paar Tabletten, ein Kugelschreiber, nichts Wichtiges.«
     
    »Ihren Pass haben wir in der Innentasche Ihrer Jacke gefunden. Sind Sie Schwedin? Warum sind Sie hier?«
     
    »Ich begleite eine Freundin im Urlaub.«
     
    Der ältere Mann dachte nach. Sein Gesicht war unbeweglich. »Wir haben keinen Scherenschnitt gefunden«, sagte er nach einer Weile.
     
    »Er war in der Tasche.«
     
    »Das haben Sie nicht gesagt, als ich gefragt habe. Haben Sie noch mehr vergessen?«
     
    Sie dachte nach und schüttelte den Kopf. Das Verhör endete abrupt. Der ältere Polizist sagte etwas und verließ das Zimmer.
     
    »Wenn es Ihnen bessergeht, werden Sie wieder in Ihr Hotel gebracht. Wir werden Sie später noch einmal aufsuchen, um weitere Fragen zu stellen und ein Protokoll anzufertigen.« Der Dolmetscher nannte den Namen ihres Hotels, ohne dass sie etwas gesagt hatte. »Woher wissen Sie, in welchem Hotel ich wohne? Der Schlüssel war doch in meiner Tasche.« 
    »So etwas wissen wir trotzdem.«
     
    Er verneigte sich und verließ den Raum. Bevor die Tür geschlossen wurde, trat der Arzt mit dem amerikanischen Akzent wieder ein. »Wir brauchen Sie noch eine Weile«, sagte er. »Ein paar Blutproben und die Auswertung der

Weitere Kostenlose Bücher