Der Chinese
Sie werden hart bestraft werden.«
»Aber sie werden nicht zum Tode verurteilt?« Eine fast unmerkliche Reaktion huschte über Hongs Gesicht. Doch Birgitta Roslin nahm sie wahr. »Unsere Gesetze sind streng. Wenn sie früher schon schwere Verbrechen begangen haben, werden sie vielleicht unter Auflagen zum Tode verurteilt. Wenn sie sich bessern, werden ihre Strafen in Gefängnis umgewandelt.«
»Und was geschieht, wenn sie sich nicht ändern?« Die Antwort war ausweichend. »Unsere Gesetze sind klar und eindeutig. Aber nichts ist sicher. Wir beurteilen jeden Fall für sich. Routinemäßige Strafen können nie gerecht sein.«
»Ich bin selbst Richterin. Nach meiner entschiedenen Auffassung entspricht es einem äußerst primitiven Rechtsverständnis, die Todesstrafe zu verhängen, die selten oder nie eine präventive Wirkung hat.«
Birgitta Roslin war plötzlich angewidert von ihrem eigenen belehrenden und beflissenen Tonfall. Hong Qiu hörte ihr ernst zu. Ihr Lächeln war verschwunden. Eine Kellnerin, die an den Tisch trat, wies sie mit einer Kopfbewegung fort. Birgitta Roslin bekam das eindeutige Gefühl, dass ein Muster sich wiederholte. Hong Qiu reagierte nicht darauf, dass sie Richterin war. Sie wusste es bereits.
In diesem Land wissen sie alles über mich, dachte Birgitta Roslin. Es empörte sie. Wenn es nicht doch so war, dass sie sich etwas einbildete. »Ich bin natürlich dankbar, dass Sie mir meine Tasche zurückbringen. Aber Sie müssen verstehen, dass ich mich wundere, wie das alles zusammenhängt. Sie kommen mit der Tasche, Sie sind nicht von der Polizei, ich weiß nicht, was oder wer Sie sind. Sind die Räuber gefasst worden, oder habe ich Sie missverstanden? Ist die Tasche irgendwo weggeworfen worden?«
»Keiner der Räuber ist gefasst worden. Aber es gibt einen bestimmten Verdacht. Die Tasche wurde nicht weit von dem Platz gefunden, wo sie geraubt wurde.«
Hong Qiu schickte sich an aufzustehen, aber Birgitta Roslin hielt sie zurück. »Erklären Sie mir, wer Sie sind. Plötzlich kommt eine wildfremde Frau und bringt mir meine Tasche zurück.«
»Ich beschäftige mich mit Fragen der Sicherheit. Weil ich Englisch und Französisch spreche, werde ich häufig gebeten, mich gewisser Angelegenheiten anzunehmen.«
»Sicherheit? Sie sind also doch Polizistin? Trotz allem?« Hong Qiu schüttelte den Kopf. »Die Sicherheit einer Gesellschaft hat nicht immer mit der äußeren Bewachung zu tun, für die die Polizei verantwortlich ist. Sie reicht tiefer hinab, bis an die eigentlichen Wurzeln der Gesellschaft. Ich bin sicher, dass das auch in Ihrem Land so ist.«
»Wer hat Sie gebeten, mich aufzusuchen und mir die Tasche zurückzubringen?«
»Ein verantwortlicher Chef in Pekings zentralem Fundbüro.«
»Fundbüro? Wer hatte die Tasche denn abgegeben?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wie konnte er wissen, dass es sich um meine Tasche handelt? Sie enthielt keinen Ausweis oder ein sonstiges Papier mit meinem Namen.«
»Ich nehme an, dass das Fundbüro von den ermittelnden Polizeistellen informiert wurde.« »Gibt es mehr als eine Dienststelle, die sich mit Straßenüberfällen befasst?«
»Es ist durchaus üblich, dass Polizeibeamte mit unterschiedlichen Spezialgebieten zusammenarbeiten.«
»Um eine Handtasche zu finden?«
»Um einen ernsten Überfall auf einen Gast unseres Landes aufzuklären.«
Sie redet drumherum, dachte Birgitta Roslin. Ich bekomme nie eine klare Antwort von ihr. »Ich bin Richterin«, wiederholte Birgitta Roslin. »Ich bleibe noch einige Tage in Peking. Weil Sie schon alles über mich wissen, brauche ich Ihnen wohl kaum zu erzählen, dass ich zusammen mit einer Freundin gekommen bin, die an einer internationalen Konferenz über den ersten Kaiser teilnimmt.«
»Kenntnisse über die Qin-Dynastie sind wichtig, um mein Land zu verstehen. Dagegen irren Sie sich, wenn Sie glauben, ich verfügte über besonders eingehende Kenntnisse über Sie und den Grund Ihres Besuchs in Peking.«
»Weil Sie mir meine Handtasche zurückgeben konnten, möchte ich Sie um Rat fragen. Was muss ich tun, um Zugang zu einem chinesischen Gerichtssaal zu erhalten? Es braucht sich nicht um einen besonderen Rechtsfall zu handeln. Ich möchte nur die Prozeduren kennenlernen und vielleicht ein paar Fragen stellen.«
Die prompte Antwort überraschte Birgitta Roslin. »Das kann ich morgen für Sie organisieren. Ich kann Sie selbst
Weitere Kostenlose Bücher