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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Röntgenbilder. Dann können Sie in Ihr Hotel zurückkehren.« Die Uhr, dachte sie. Die haben sie mir nicht abgenommen. Sie warf einen Blick darauf. Viertel vor fünf.
     
    »Wann kann ich ins Hotel fahren?«
     
    »Bald.«
     
    »Meine Freundin macht sich Sorgen, wenn ich nicht da bin.«
     
    »Wir bringen Sie zum Hotel. Uns liegt daran, dass unsere ausländischen Gäste nicht an unserer Gastfreundschaft und Fürsorge zweifeln, auch wenn zuweilen unglückliche Vorfälle eintreffen.«
     
    Sie wurde im Zimmer allein gelassen. Irgendwo hörte sie einen Menschen schreien, ein einsamer Ruf, der durch die Korridore wanderte.
     
    Ihr Gedanken kreisten um das, was geschehen war. Das Einzige, was bewies, dass man sie überfallen hatte, war ihre schmerzende Kehle und die verschwundene Tasche. Der Rest war unwirklich, der plötzliche Schock darüber, von hinten gefasst zu werden, der Schlag in den Bauch, die Menschen, die ihr geholfen hatten.
     
    Aber sie mussten etwas gesehen haben, dachte sie. Hat die Polizei sie befragt? Waren sie noch da, als der Krankenwagen kam? Oder war die Polizei zuerst da? Sie war noch nie in ihrem Leben überfallen worden. Sie war bedroht worden, aber niemand hatte sie physisch angegriffen. Der Schlag, den sie in den Bauch bekommen hatte, war die erste Misshandlung ihres Lebens. Sie hatte Menschen verurteilt, die schlugen und schossen und mit Messern zustachen. Aber nie selbst gespürt, wie die Beine nachgaben.
     
    Ich musste auf die andere Seite des Globus fahren, dachte sie, damit es geschah. Hier, wo nicht einmal eine Zahnbürste verschwinden konnte.
     
    Hatte sie immer noch Angst? Ja, antwortete sie sich selbst. Das hatte sie in den vielen Jahren als Richterin gelernt. Ein überfallener und beraubter Mensch vergisst nicht. Die Angst konnte sich festsetzen, manchmal für den Rest des Lebens. Aber so wollte sie nicht werden. Ein Wesen, das sich im Dunkeln fürchtete, das nie wagte, auf einer Straße zu gehen, ohne sich ständig umzublicken.
     
    Sie beschloss sogleich, es Staffan zu erzählen, wenn sie nach Hause kam. Eine mildere Variante der Wahrheit, aber doch so, dass er verstand, wenn sie vielleicht unerwartet auf einer Straße zusammenzuckte.
     
    Sie erlebte die Kette von Reaktionen, die, wie sie wusste, üblicherweise nach einem Überfall auftreten. Die Angst, aber auch die Wut, das Gefühl, gedemütigt worden zu sein, die Trauer. Und die Rachegelüste. Gerade jetzt, da sie hier im Bett lag, würde sie nicht protestieren, wenn die beiden Männer, die sie überfallen hatten, gezwungen würden niederzuknien und je einen Genickschuss bekämen.
     
    Eine Krankenschwester kam ins Zimmer und half ihr beim Anziehen. Sie war noch empfindlich am Bauch und hatte sich eine Abschürfung am Knie zugezogen. Als die Krankenschwester ihr einen Kamm gab und ihr einen Spiegel hinhielt, sah sie, wie blass sie war. So sehe ich aus, wenn ich Angst habe, dachte sie. Das werde ich nicht vergessen. Der Arzt trat ins Zimmer, als sie auf dem Bett saß und für die Rückfahrt ins Hotel bereit war. »Die Schmerzen am Hals werden vergehen«, sagte er. »Vermutlich schon morgen.« »Danke für Ihre Fürsorge. Wie komme ich ins Hotel?« 
    »Die Polizei fährt Sie.«
     
    Im Korridor standen drei Polizisten bereit. Einer von ihnen hielt eine schreckenerregende Maschinenpistole in den Händen. Sie fuhr mit ihnen im Aufzug nach unten und stieg in ein Polizeiauto. Sie wusste nicht, wo sie war, kannte nicht einmal den Namen des Krankenhauses, in dem sie behandelt worden war. Schließlich meinte sie, die eine Seite der Verbotenen Stadt zu sehen, doch sie war nicht sicher.

 
    Die Sirenen wurden ausgeschaltet. Sie war dankbar dafür, nicht mit Blaulicht zu ihrem Hotel zurückkehren zu müssen. Vor dem Hoteleingang stieg sie aus. Bevor sie sich auch nur umdrehen konnte, fuhr der Wagen schon davon. Sie fragte sich noch immer, woher sie wissen konnten, in welchem Hotel sie wohnte.
     
    An der Rezeption erklärte sie, dass sie ihren Plastikschlüssel verloren habe, und bekam sofort einen neuen. Es ging so schnell, dass der Schlüssel schon bereitgelegen haben musste. Die Frau hinter dem Rezeptionstresen lächelte. Sie weiß Bescheid, dachte Birgitta Roslin. Die Polizei ist hier gewesen, hat sie vorbereitet und von dem Überfall berichtet. Als sie zu den Aufzügen ging, dachte sie, dass sie dankbar sein sollte. Doch stattdessen empfand sie Unbehagen. Es wurde nicht geringer, als sie ins Zimmer kam und sah, dass jemand darin

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