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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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mangelnden Vertrauens an. Eigentlich sollte ich böse sein.«
     
    Birgitta blieb stehen und stellte sich vor Karin. »So gut kennen wir uns auch nicht«, sagte sie. »Das glauben wir vielleicht. Oder wünschen, es wäre so. Als wir jung waren, hatten wir ein ganz anderes Verhältnis als jetzt. Wir sind Freundinnen. Aber richtig nah sind wir uns nicht. Vielleicht waren wir es nie.«
     
    Karin nickte. Sie gingen weiter am Strand entlang. Oberhalb des getrockneten Seetangs, wo der Sand am trockensten war. »Man will, dass sich alles wiederholt, dass es genauso werden soll, wie es einmal war«, sagte Karin. »Aber älter zu werden bedeutet, dass man sich gegen Sentimentalität wappnen muss. Freundschaft, die überleben will, muss sich ständig erneuern und neu beweisen. Alte Liebe rostet vielleicht nicht, aber alte Freundschaft tut es.«
     
    »Aber allein die Tatsache, dass wir jetzt darüber sprechen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist, als kratzte man den Rost mit einer Stahlbürste ab.«
     
    »Was ist dann passiert? Wie endete das Ganze?«
     
    »Ich bin ins Hotel zurückgefahren. Die Polizei oder ein anderer Sicherheitsdienst hatte inzwischen mein Zimmer durchsucht. Was sie zu finden glaubten, weiß ich nicht.« »Aber du musst dich doch selbst gefragt haben? Nichts als ein Handtaschenraub?«
     
    »Inzwischen ist mir klar geworden, dass es um das Foto aus dem Hotel in Hudiksvall geht. Jemand wollte nicht, dass ich nach diesem Mann suche. Aber ich glaube auch, dass Hong tatsächlich die Wahrheit sagte. China will nicht, dass ausländische Besucher nach Hause zurückkehren und von unglücklichen Zwischenfällen berichten. Jedenfalls nicht jetzt, wo das Land sich auf seine große Glanznummer, die Olympischen Spiele, vorbereitet.«
     
    »Ein ganzes Land mit weit über einer Milliarde Menschen, die hinter den Kulissen auf ihren Auftritt warten. Ein merkwürdiger Gedanke.«
     
    »Viele hundert Millionen Menschen, unsere geliebten armen Bauern, wissen sicher überhaupt nicht, was diese Olympischen Spiele bedeuten. Oder sie sehen ein, dass sich ihre Lage nicht verbessern wird, nur weil die Jugend der Welt sich in Peking zu den Spielen versammelt.«
     
    »Ich kann mich dunkel an sie erinnern, an diese Frau namens Hong. Sie war sehr schön. Sie hatte etwas Abwartendes an sich, als wäre sie die ganze Zeit darauf eingestellt, dass etwas passieren könnte.«
     
    »Vielleicht. Ich habe eine andere Erinnerung an sie. Sie hat mir geholfen.«
     
    »War sie mehrerer Herren Dienerin?«
     
    »Das habe ich mich auch gefragt. Ich kann nicht darauf antworten. Ich weiß es nicht. Aber wahrscheinlich hast du recht.«
     
    Sie betraten eine Anlegebrücke, an der noch viele Liegeplätze frei waren. In einem morschen Holzboot saß eine alte Frau und schöpfte Wasser heraus. Sie nickte freundlich und sagte etwas in einem Dialekt, von dem Birgitta nur einen Bruchteil verstand.
     
    Später tranken sie Kaffee in Karins Wohnzimmer. Karin erzählte von der Arbeit, mit der sie gerade beschäftigt war. Sie übersetzte die Gedichte einer Reihe chinesischer Poeten von der Selbständigkeit 1949 bis in die Gegenwart. »Ich kann mich nicht nur mit ausgestorbenen Imperien befassen. Die Gedichte sind eine Abwechslung.«
     
    Birgitta hätte am liebsten von ihrem geheimen und leidenschaftlichen Spiel mit den Schlagertexten erzählt. Aber sie sagte nichts.
     
    »Viele waren mutig«, sagte Karin. »Mao und die anderen in der politischen Führung ertrugen selten Kritik. Aber mit den Dichtern hatte Mao Geduld. Weil er selbst Gedichte schrieb, stelle ich mir vor. Aber ich denke, er wusste, dass Dichter wichtige Einsichten haben konnten, was das große politische Geschehen betrifft. Wenn andere in der Parteiführung dazu neigten, ein Machtwort mit denen zu sprechen, die falsche Worte schrieben oder mit gefährlichen Pinselstrichen malten, widersetzte Mao sich fast immer. Bis ins Letzte. Für das, was während der. Kulturrevolution mit den Künstlern geschah, war er verantwortlich, wenn er es vielleicht auch nicht beabsichtigt hatte. Die letzte Revolution, die er auslöste, mag kulturelle Vorzeichen getragen haben, aber im Grunde war sie politisch. Als Mao erkannte, dass ein Teil der rebellischen Jugendlichen zu weit ging, zog er die Bremsen an. Auch wenn er es nicht laut sagen konnte, glaube ich, dass er die Zerstörung, die in jenen Jahren stattfand, bedauerte. Aber er wusste natürlich auch besser als jeder andere, dass man Eier

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