Der Chinese
zerschlagen muss, wenn man ein Omelett machen will. Sagt man nicht so?«
»Oder dass die Revolution kein Teekränzchen ist.« Sie mussten beide lachen.
»Was denkst du heute über China?« fragte Birgitta. »Was geschieht dort?«
»Ich bin davon überzeugt, dass in China ein ungeheures Kräftemessen stattfindet. In der Partei, im Land. Gleichzeitig will die Kommunistische Partei der Umwelt zeigen, Menschen wie mir und dir, dass es möglich ist, wirtschaftliche Entwicklung im Rahmen eines nichtdemokratischen Staates zu verwirklichen. Auch wenn alle liberalen Denker im Westen es verneinen, ist die Diktatur der Partei mit wirtschaftlicher Entwicklung vereinbar. Das schafft bei uns natürlich Unruhe. Deswegen wird so viel über die chinesischen Genickschüsse geredet und geschrieben. Der Mangel an Freiheit und Offenheit, die im Westen so hoch gehaltenen Menschenrechte werden von uns als Ansatzpunkte für die Kritik an China benutzt. Für mich ist das Heuchelei, weil es in unserem Teil der Welt zahlreiche Länder gibt, allen voran die USA und Russland, in denen die Menschenrechte tagtäglich verletzt werden. Außerdem wissen die Chinesen, dass wir Geschäfte mit ihnen machen wollen, koste es, was es wolle. Sie haben uns im 19. Jahrhundert durchschaut, als wir beschlossen, sie alle zu Opiumabhängigen zu machen und uns auf diese Weise das Recht zu sichern, Geschäfte zu unseren Bedingungen zu treiben. Die Chinesen haben gelernt, aber sie werden unsere Fehler nicht wiederholen. So denke ich, und ich weiß, dass meine Schlussfolgerungen selbstverständlich unvollkommen sind. Das Geschehen ist viel zu groß, als dass ich es überschauen könnte. Wir können unsere Maßstäbe nicht an China anlegen. Aber was wir auch denken, so müssen wir doch mit Respekt verfolgen, was in China geschieht. Nur ein Idiot kann heute noch der Meinung sein, dass das, was dort passiert, nicht unsere eigene Zukunft beeinflusst. Wenn ich kleine Kinder hätte, würde ich mich um ein chinesisches Kindermädchen bemühen, damit sie die Sprache lernen.«
»Genau das Gleiche sagt mein Sohn.«
»Dann ist er weitblickend.«
»Für mich war die Reise überwältigend«, sagte Birgitta. »Ein so unendlich großes Land, dass ich immer mit dem Gefühl herumlief, jederzeit verschwinden zu können. Und niemand würde nach diesem Individuum fragen, wenn es doch so viele andere gab. Ich wünschte, ich hätte länger mit Hong sprechen können.«
Nach dem Abendessen verloren sie sich erneut in Erinnerungen an die Vergangenheit. Birgitta spürte immer stärker den Wunsch, den Kontakt mit Karin nicht noch einmal zu verlieren. Es gab sonst niemanden, mit dem sie ihre Jugend teilte, niemanden, der verstand, wovon sie sprach.
Sie saßen noch bis spät in die Nacht, und bevor sie ins Bett gingen, versprachen sie einander, sich in Zukunft öfter zu treffen.
»Du brauchst nur in Helsingborg ein Verkehrsdelikt zu begehen«, sagte Birgitta. »Bei den Polizisten auf der Straße weigerst du dich, etwas zuzugeben. Dann landest du so nach und nach bei mir im Gericht. Wenn ich dich dann verurteilt habe, gehen wir zusammen essen.«
»Ich kann mir dich gar nicht richtig auf einem Richterstuhl vorstellen.« »Ich kann es auch nicht, obwohl ich täglich dort sitze.«
Am nächsten Tag fuhren sie zum Hauptbahnhof.
»Jetzt kehre ich wieder zu meinen chinesischen Dichtern zurück«, sagte Karin. »Und was wirst du tun?«
»Heute Nachmittag lese ich zwei Anklageschriften. Eine gegen eine vietnamesische Bande, die Zigaretten schmuggelt und brutale Überfälle auf alte Menschen begeht. Es sind ein paar richtig widerwärtige junge Männer darin verwickelt. Dann die Anklage gegen eine Frau, die ihre Mutter misshandelt hat. Nach dem, was ich bisher weiß, sind Mutter und Tochter beide nicht ganz gescheit. Das wird meine Nachmittagsbeschäftigung. Ich beneide dich um deine Dichter. Aber darüber will ich lieber nicht nachdenken.«
Als sie schon auseinandergehen wollten, nahm Karin noch einmal Birgittas Arm. »Ich habe überhaupt nicht nach der Geschichte in Hudiksvall gefragt. Was passiert denn jetzt dort?«
»Die Polizei geht anscheinend weiterhin davon aus, dass der Mann, der Selbstmord begangen hat, der Täter war.«
»Allein? All die vielen Toten?«
»Ein zielbewusster Mörder kann das schon schaffen. Aber man hat noch immer kein Motiv gefunden.«
»Wahnsinn?«
»Das glaube ich heute so wenig, wie ich
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