Der Chinese
Korruptionsverdächtigungen. Er beeilte sich, das Gespräch mit einigen Höflichkeitsfloskeln zu beenden.
In Gedanken bereitete er sich auf einen Auftrag vor, den er selbst ausführen musste, da es Liu nun nicht mehr gab. Eine Sache noch, die zu Ende gebracht werden musste. Noch war Hong nicht endgültig besiegt.
Chinatown, London
Es regnete an dem Vormittag Anfang Mai, als Birgitta Roslin ihre Familie nach Kopenhagen begleitete, von wo sie auf eine Urlaubsreise nach Madeira gehen wollte. Nach langen Zweifeln und vielen Gesprächen mit Staffan hatte sie beschlossen, nicht mitzufliegen. Wegen der langen Krankschreibung im Frühjahr fand sie es unmöglich, zu ihrem Gerichtspräsidenten zu gehen und Urlaub zu beantragen. Das Amtsgericht war immer noch mit unerledigten Prozessen überhäuft. Birgitta Roslin konnte ganz einfach nicht fahren.
Sie kamen in strömendem Regen in Kopenhagen an. Staffan, der bei der Bahn gratis fuhr, hatte immer wieder betont, er könne doch mit dem Zug nach Kastrup fahren, wo die Kinder warteten, aber sie hatte genauso beharrlich darauf bestanden, ihn zu bringen. In der Abflughalle winkte sie ihnen nach und setzte sich dann in ein Cafe und betrachtete den Strom der Reisenden, die sich mit Koffern und ihren Träumen von Reisen in ferne Länder abschleppten.
Einige Tage zuvor hatte sie Karin Wiman angerufen und ihren Besuch in Kopenhagen angekündigt. Obwohl schon mehrere Monate seit ihrer Rückkehr aus Peking vergangen waren, hatten sie noch keine Möglichkeit gehabt, sich zu treffen. Birgitta Roslin hatte sich nach ihrer Gesundschreibung kopfüber in die Arbeit gestürzt. Hans Mattsson hatte sie mit offenen Armen empfangen, eine Vase mit Blumen auf ihren Arbeitstisch gestellt und im nächsten Augenblick einen großen Stapel fertiger Anklageerhebungen daneben abgeladen, über die jetzt so schnell wie möglich vor Gericht verhandelt werden musste. Gerade zu dieser Zeit, Ende März, war in der lokalen südschwedischen Presse eine Diskussion über die skandalös langen Wartezeiten bei den schwedischen Gerichten geführt worden. Hans Mattsson, den man kaum eine kriegerische Natur nennen konnte, war Birgittas Kollegen zufolge nicht entschieden genug zu ihrer Verteidigung aufgetreten und hatte die hoffnungslose Situation erklärt, die die Justizbehörde und vor allem die Regierung mit ihren Einsparungsforderungen verschuldet hatten. Während ihre Kollegen über die Arbeitsbelastung stöhnten und wüteten, war es für Birgitta eine große und ungetrübte Freude, wieder zurück zu sein. Sie saß häufig noch bis spätabends in ihrem Büro, so dass Hans Mattsson in seiner bedächtigen Art sie gewarnt hatte, sie solle sich nicht wieder überanstrengen und krank werden.
»Ich war nicht krank«, sagte Birgitta Roslin. »Ich hatte nur zu hohen Blutdruck und schlechte Blutwerte.«
»So antwortet ein geschickter Demagoge«, sagte Hans Mattsson. »Aber keine schwedische Richterin, die weiß, dass Wortverdrehungen nur Unheil zur Folge haben.« Deshalb hatte sie mit Karin Wiman nur telefoniert. Zweimal hatten sie versucht, sich zu treffen, aber immer war etwas dazwischengekommen. Jetzt, an diesem regnerischen Tag in Kopenhagen, hatte Birgitta frei. Sie musste erst am nächsten Tag wieder in ihren Gerichtssaal und würde bei Karin übernachten. Sie hatte ihre Fotos in der Tasche und freute sich mit kindlicher Neugier darauf, Karins Fotos zu sehen. Die Pekingreise war schon in weite Ferne gerückt. Sie fragte sich, ob es am Alter lag, dass Erinnerungen so schnell verblassten. Sie blickte sich im Cafe um, als suchte sie nach jemandem, der ihr eine Antwort geben könnte. In einer Ecke saßen zwei verschleierte arabische Frauen, eine von ihnen weinte. Sie können mir keine Antwort geben, dachte sie. Wer könnte das schon, wenn ich selbst es nicht kann?
Birgitta und Karin hatten sich zum Mittagessen in einem Restaurant in einer der Seitenstraßen des Stroget verabredet. Birgitta wollte sich ein paar Geschäfte ansehen und nach einem Kostüm suchen, das sie im Gerichtssaal tragen konnte. Aber der Regen nahm ihr die Lust. Sie blieb in Kastrup sitzen, bis es Zeit war. Dann nahm sie ein Taxi in die Stadt, weil sie nicht sicher war, ob sie den Weg finden würde. Karin winkte ihr freudig zu, als sie das übervolle Restaurant betrat. »Sind sie gut weggekommen?« »Man denkt zu spät daran. Das entsetzliche Risiko, seine ganze Familie ins Flugzeug zu setzen.«
Karin schüttelte den
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