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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Kopf. »Es passiert nichts«, sagte sie. »Wenn man möglichst sicher sein will zu überleben, wenn man reist, dann muss man in ein Flugzeug steigen.« Sie aßen, betrachteten Fotos und tauschten Erinnerungen an die Reise aus. Während Karin sprach, merkte Birgitta, dass sie zum ersten Mal seit langem wieder an den Überfall dachte. Hong, die plötzlich am Frühstückstisch vor ihr gestanden hatte. Die wiedergefundene Tasche. Das ganze eigentümliche und beängstigende Geschehen, in das sie hineingezogen worden war.
     
    »Hörst du überhaupt zu?« fragte Karin.
     
    »Natürlich höre ich zu. Warum fragst du?«
     
    »Es sieht nicht so aus.«
     
    »Ich denke an meine Familie da oben in der Luft.« Nach dem Essen bestellten sie Kaffee. Karin schlug vor, aus Protest gegen das kalte Frühlingswetter einen Kognak zu trinken.
     
    »Aber natürlich trinken wir einen Kognak.«
     
    Sie nahmen ein Taxi zu Karins Haus. Als sie ankamen, hatte der Regen aufgehört, und die Wolkendecke war aufgerissen. »Ich brauche Bewegung«, sagte Birgitta. »Ich verbringe viel zu viele Stunden im Sitzen, im Büro und im Gerichtssaal.« 
    Sie spazierten am Strand entlang, der bis auf einige ältere Menschen, die ihre Hunde ausführten, verlassen war. 
    »Was denkst du, wenn du einen Menschen ins Gefängnis schickst?« fragte Karin. »Habe ich das schon gefragt? Und ob du jemals einen Mörder verurteilt hast?«
     
    »Schon oft. Unter anderem eine Frau, die drei Menschen ermordet hatte. Ihre Eltern und einen jüngeren Bruder. Ich erinnere mich daran, wie ich sie während der Verhandlung betrachtete. Sie war klein und dünn, sehr schön. Als Mann hätte ich sie wahrscheinlich sexy gefunden. Ich versuchte, Reue bei ihr zu entdecken. Offensichtlich hatte sie die Morde geplant. Sie hatte die drei nicht im Affekt erschlagen, sie hatte sie wirklich totgeschlagen. Das machen Männer. Frauen benutzen meistens Messer. Wir sind das stechende Geschlecht, während Männer das schlagende sind. Aber sie hatte einen Vorschlaghammer aus der Garage ihres Vaters geholt und allen dreien die Köpfe eingeschlagen. Und keine Reue.«
     
    »Und warum?«
     
    »Das wurde nie geklärt.«
     
    »Sie war also verrückt?«
     
    »Nicht laut den psychiatrischen Gutachten. Am Ende hatte ich gar keine andere Möglichkeit, als die Höchststrafe auszusprechen. Sie hat nicht einmal Berufung eingelegt. Als Richter pflegt man das als einen Sieg zu betrachten. In diesem Fall weiß ich nicht so recht.«
     
    Sie blieben stehen und betrachteten ein Segelboot, das vor dem Wind nach Norden durch den Sund lief. »Ist es nicht Zeit, dass du einmal erzählst?« sagte Karin.
     
    »Wovon?«
     
    »Was eigentlich damals in Peking passiert ist. Ich weiß ja, dass du nicht ganz die Wahrheit gesagt hast. Zumindest nicht so, dass du vor Gericht einen Eid hättest schwören können.« »Ich wurde überfallen. Mir wurde die Tasche geraubt.« 
    »Das weiß ich. Aber die Umstände, Birgitta, an die glaube ich nicht. Es hat die ganze Zeit ein Stück gefehlt. Auch wenn wir uns in den letzten Jahren nicht häufig getroffen haben, kenne ich dich doch. Als wir damals Rebellen waren, naive Schafe, die Gefühl und Vernunft durcheinanderbrachten, lernten wir, zur gleichen Zeit zu lügen und die Wahrheit zu sagen. Ich würde nie versuchen, dir die Unwahrheit zu sagen. Oder zu schummeln, wie mein Vater gesagt hätte. Ich weiß, dass du mich durchschauen würdest.«
     
    Birgitta fühlte sich erleichtert. »Ich weiß es selbst nicht«, sagte sie. »Warum ich die halbe Geschichte verschwiegen habe. Vielleicht weil du so sehr mit deiner ersten Dynastie beschäftigt warst. Vielleicht weil ich selbst nicht richtig begriffen habe, was passiert war.«
     
    Sie gingen weiter am Strand entlang und zogen ihre Jacken aus, als die Sonne zu wärmen begann. Birgitta erzählte von dem Foto aus der Überwachungskamera in dem kleinen Hotel in Hudiksvall und von ihrem Versuch, den Mann auf dem Bild zu finden. Sie erzählte es ausführlich, als stünde sie im Zeugenstand und das wachsame Auge eines Richters wäre auf sie gerichtet.
     
    »Davon hast du nichts erwähnt«, sagte Karin, als Birgitta den Schlusspunkt gesetzt hatte. Sie waren umgekehrt und gingen allmählich zurück.
     
    »Als du fuhrst, hatte ich Angst«, sagte Birgitta. »Ich dachte, ich würde in irgendeiner unterirdischen Gefängniszelle verrotten. Die Polizei würde hinterher erklären, ich sei verschwunden.«
     
    »Ich sehe das als einen Ausdruck

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