Der Clan der Wölfe 2: Schattenkrieger (German Edition)
gerückt, hat sein Maul aufgerissen und mir direkt in die Ohren geklickt. Deshalb habe ich meinen Einsatz verpasst. Es war schrecklich – als würde er mir ein Maulvoll Knochensplitter ins Gehirn bohren. Dieser elende Kriecher hasst mich.“
Mairie und Dearlea wechselten einen Blick.
„Bitte, ihr müsst mir glauben“, sagte Faolan. In seiner Stimme lag die blanke Verzweiflung.
„Gut, wir kommen in die Schnitzkreise, die in den nächsten Tagen stattfinden“, sagte Dearlea. „Die Knochen, die du schnitzt, Faolan, zählen mehr als deine Punkte beim Byrrgis . Damit kannst du deinen letzten Platz wieder wettmachen.“
„Das hoffe ich. Und wie gesagt, beim Schnitzen stört mich das Geräusch nicht so sehr wie beim Laufen.“
„Und du weißt wirklich nicht, warum das so ist?“, fragte Mairie.
„Nein.“
„Ich schon. Weil du ein Künstler bist, Faolan. Ein echter Künstler.“
Faolan saß im Schnitzkreis wie üblich neben Heep. Der gelbe Wolf klickte genauso laut wie beim Byrrgis , aber hier störte Faolan das Geräusch viel weniger. Dass er mit Mairie und Dearlea darüber gesprochen hatte, war eine große Erleichterung. Die beiden Schwestern hatten das Geräusch zwar nicht gehört, aber Faolan hatte zum ersten Mal, seit er in den Hinterlanden war, seine Sorgen mit anderen Wölfen geteilt. Aus dem Augenwinkel sah er Mairie und Dearlea näher kommen. Sein Herz klopfte vor Freude. Die beiden hielten ihr Versprechen. Er dämpfte die eigenen Nagegeräusche, damit die Wölfinnen das Klicken von Heeps Zahnzacke hören konnten.
Dearlea und Mairie blieben rechts und links neben Heep stehen. „Das ist interessant“, sagte Dearlea. „Die natürliche Schattierung dieses Knochens wäre für andere vielleicht ein Hindernis, aber deine Zähne gehen tief.“ Sie hielt inne, weil ihr sonst nichts einfiel. Die Linien waren tatsächlich tief – tief und plump – und sie entdeckte die Zacke darin. Jetzt wollte sie auch noch das Geräusch hören.
„Oh, deine Worte beschämen mich“, winselte Heep. Er rieb das Gesicht im Dreck und wälzte sich vor Unterwürfigkeit.
„Ach bitte, sparen wir uns die Formalitäten. Wir möchten dir einfach beim Nagen zusehen.“
Faolan hörte ganz mit dem Schnitzen auf und ölte seinen Knochen, indem er ihn zwischen den Schwimmhäuten seiner Pfoten rieb. Das Einölen bewirkte zweierlei: Er markierte auf diese Weise den Knochen mit seinem unverwechselbaren Geruch und entfernte zugleich den Knochenstaub, der sich beim Nagen ablagerte. Im Augenblick erfüllte das Einölen noch einen dritten Zweck: Stille, damit Dearlea und Mairie besser lauschen konnten.
Jetzt mussten die Wölfinnen das Klicken hören. Sie lauschten mit weit nach vorn gerichteten Ohren. Bestimmt hatten sie auch die verräterischen Zackenspuren in dem Knochen gesehen, den Heep benagte.
Nach einer Weile drehten sich Mairie und Dearlea um und trotteten davon. Heep ließ den Blick zu Faolan hinüberwandern. Dann sagte er im Flüsterton, aber laut genug, dass alle anderen im Schnitzkreis es hören konnten: „So eine Ehre! Zwei hochrangige Wölfinnen, noch dazu aus dem Carreg-Gaer-Rudel, kommen extra hierher, um meine bescheidene Arbeit zu bewundern. Die Arbeit eines niedrigen Knochennagers. Wirklich, ich bin überwältigt. Ich kann mir beim besten Willen nicht denken, womit ich das verdient habe.“
Niemand sagte etwas darauf. Die Knochennager schnitzten einfach weiter. Bis auf das Schaben der Zähne war kein Laut zu hören. Doch mit einem Mal hob Edme den Kopf. „Oh, seht mal! Da kommt der Fengo Finbar“, sagte sie.
Heep ließ sofort seinen Knochen fallen und presste nicht nur den Kopf, sondern seinen ganzen Körper in die Erde.
„Auf, auf!“ Finbar war ein prächtiger, gut genährter brauner Wolf mit schimmerndem Fell. Eines seiner Hinterbeine war verkrümmt, sodass die Pfote in die verkehrte Richtung zeigte. „Unterwürfigkeits- und Gehorsamsbekundungen sind während der Spiele aufgehoben. Bei einem so wichtigen Anlass ist das nur vergeudete Zeit.
Ich bin hier, um euch daran zu erinnern, dass ihr euch langsam Gedanken über eure Geschichtenknochen machen solltet. Früher war es erlaubt, drei oder sogar vier Knochen zu schnitzen, um eine Geschichte zu erzählen. Doch unter unserem verehrten Fengo Hamisch, der leider nicht mehr unter uns weilt, wurde diese Regel geändert. Eine Geschichte so knapp wie möglich zu halten, ist die schwierigste Übung. Ich rate euch daher: Beschränkt euch auf das Wesentliche und
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