Der Clan der Wölfe 2: Schattenkrieger (German Edition)
Dienste leistete und seine Beinmuskeln gezwungen hatte, kräftiger zu werden.
Heep hüllte sich zunächst in Schweigen, aber Tearlach ließ nicht locker. Da sagte Heep schnell – verdächtig schnell –, dass er einen Knochen über die unverhofften Freuden der Demütigung schnitze. „Es ist eine philosophische Geschichte über die innere Erfüllung, die darin liegt, als niedrigstes aller Geschöpfe seinen Platz zu kennen. Und über die Schönheit und Gerechtigkeit der Großen Kette, die unser Leben hier auf Erden bestimmt.“ Heep schaute verstohlen zu Faolan hinüber. Edme erschauerte bis ins Mark, als sie das schadenfrohe Funkeln in Heeps Augen auffing. Hatte Faolan es auch gesehen?
Der Pfeifer gähnte laut bei Heeps scheinheiligem Geschwätz. Er selbst nagte eine Geschichte über eine seiner frühesten Erinnerungen. Er erzählte, wie er den Weg zurück zum MacDuncan-Clan gefunden und sich gefragt hatte, ob es nicht besser gewesen wäre, als Einzelgänger weiterzuleben. Es war eine mutige, ehrliche Geschichte, aber Heep kicherte verächtlich. „Darf ich den Pfeifer in aller Bescheidenheit fragen, wie er auch nur eine Sekunde lang auf den Gedanken kommen konnte, diesen edlen Clan zu verlassen und als Einzelgänger umherzustreifen?“
„Nein“, fauchte der Pfeifer, „darfst du nicht. Warte ab, bis mein Knochen fertig ist. Wenn du ihn siehst, geht deinem bescheidenen Verstand vielleicht ein Licht auf.“
Tearlach behielt seine Geschichte für sich, machte aber hin und wieder eine Andeutung. Faolan gab dagegen gar nichts preis. Als er sich endlich für eine Geschichte entschieden hatte, ging er zu dem Knochenstapel, als niemand in der Nähe war. Er wählte den Beckenknochen eines Murmeltiers aus. Der Knochen hatte einen schönen grauen Sprung, der quer darüberlief und Faolan unwillkürlich an den Fluss denken ließ, aus dem Donnerherz ihn gerettet hatte. Außerdem zierte ein Fleck die Oberfläche, der ihn an Donnerherz’ Sommerbau erinnerte. Faolan fand es merkwürdig, dass die anderen Knochennager sich so wenig Zeit nahmen, um ihre Knochen zu studieren und die faszinierenden natürlichen Zeichnungen zu entdecken, die sie manchmal besaßen – Brüche, Schatten, leichte Vertiefungen. Ein einziges Mal hatte Heep sich den Riss in einem Knochen zunutze gemacht … um Faolans Sprung über die Feuerwand zu schnitzen. Aber dieser Riss war so auffällig gewesen, dass man ihn beim besten Willen nicht übersehen konnte. Ansonsten achteten weder Heep noch die anderen Knochennager auf diese Muster in ihren Schnitzknochen.
Wenn man genau hinschaute, zeichnete sich auf jedem Knochen eine Landschaft ab, die bereits existierte. Danach ging alles wie von selbst: Man musste die Schnitzarbeit nur noch um diese Landschaft herum anordnen. Im Beckenknochen des Murmeltiers entdeckte Faolan den Fluss, ein Stück Himmel und den Sommerbau – nur Donnerherz fehlte, aber die Bärin würde er selbst hineinschnitzen. Die Geschichte drängte mit einer solchen Macht aus dem Knochen, dass Faolans Zähne schmerzten, weil er mit dem Nagen kaum nachkam.
Ein paar Tage später, nach einem langen Arbeitstag, entdeckte Faolan einen Baum mit einer Astgabel, die sich gut als Schlafplatz eignete. Er war schon einmal auf einen Baum gesprungen – damals, als er den Puma in den Frostlanden gejagt hatte. Jetzt musste er ungefähr genauso hoch springen. Im Vergleich zu dem Sprung, mit dem er sich über die Feuerwand gerettet hatte, war das allerdings ein Kinderspiel.
Faolan musste kaum Anlauf nehmen, um sich in den Baum hinaufzuschwingen. In null Komma nichts saß er oben und legte die Beine über die Äste. Er entdeckte zwei weitere Astgabeln auf der Rückseite des Baums, die mit seiner verflochten waren. Der Anblick erinnerte ihn an die Körbe, in denen Glutsammler- und Schmiedeeulen ihre Glut transportierten – nur viel größer natürlich. Es war ein perfekter Bau, falls man dieses Gebilde so nennen konnte.
Faolan machte es sich darin bequem und blickte durch die schwarze Nadelstickerei der buschigen Fichte zum Himmel empor. Die Sterne gingen gerade auf und er sah das erste Geweih des Rentiersternbilds. Unwillkürlich dachte er an den Drumlyn , den er vor fast einem Jahr für die erbeutete Rentierkuh aufgeschichtet hatte. Er hatte es mit guten Gefühlen getan, nicht wie jetzt, wenn er die mörderisch zerbissenen Knochen des kleinen Welpen auf dem Tafelfelsen aufsammelte. Faolan erschauerte in seinem Himmelskorb – so nannte er den
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