Der Clown ohne Ort
darauf trinken«, sagt Chris.
»Zu spät. Salud!«, sagt Naïn.
»Santé.«
»Half Gott.«
»Prost.«
»Hat dein Bruder was Genaueres zur Antragsbegründung gesagt?«, fragt Cécile.
»Nö. Er meinte nur, sie solle auf keinen Fall mehr als zwei Seiten lang sein, ansonsten höre sich das alles ganz gut an. Ich denke, es wäre nicht schlecht, irgendwie die Jugendgefühle von diesem Dufort anzusprechen, sa sentimentalité.«
»Sentimentalität, ja? Immer diese Alt-68er. Die machen es einem echt nicht leicht!«, sagt Cécile.
»Dafür interessant. Wir kriegen das schon hin. Bis morgen Abend schreibe ich einen Entwurf«, sagt Naïn, dem es nach knapp zwei Litern Wasser, die er in sich geschüttet hat, wieder erstaunlich gut geht.
Sie trinken eine weitere Flasche. Dann gehen sie nach Hause. Marianne bleibt bei Chris. Cécile und Louise haben den gleichen Weg wie Naïn. Sie kommen noch zu ihm hoch. In Lisas Fenstern: Schwärze.
Nach drei Wochen steht der erste Teil des Projekts. Marianne hat ganze Arbeit geleistet. Chris für seinen Teil hat den Antrag auf den Weg gebracht und bereits zweimal mit Herrn Dufort gesprochen. Wie sich herausstellt, hat der zusammen mit Chris’ Vater studiert. Schon im ersten Telefonat erhält Chris von ihm eine mündliche Zusage, die im zweiten wiederholt, sogar bestärkt wird. Chris meint, Herr Dufort sei mit einem ungewöhnlichen Eifer bei der Sache, er würde seine Hilfe beinahe aufdrängen.
Aus einer guten Laune schlägt Naïn ein paar Tage später vor, das Projekt auch in Paris zu bringen, wo Cécile, Louise und Chris ja herkommen. Eine Woche später ist die Idee praktisch umgesetzt. Wie es aussieht, sind Marianne und Chris Organisationstalente mit den richtigen Beziehungen. Es sollen einige der bereits für Berlin gebuchten Projekte einfach nach Paris übertragen und noch zwei bis maximal drei französische Künstler gezeigt werden, um dem Ganzen einen frankophilen Touch zu geben.
Der Eingebildete Kranke läuft gerade. Naïn steht mit Bo hinter der Bühne. Der nächste schnelle Umzug ist erst in knapp zehn Minuten. Sein Telefon vibriert. Es ist Chris. Er geht ran: »Naïn, es ist alles geritzt. Wir kriegen die Kohle von der EU. Dass das Projekt parallel in Berlin und Paris startet, hat den letzten Ausschlag gegeben. Für Paris haben die uns sogar noch mehr genehmigt. Das ist der Hammer! Das ist, als warteten die nur auf so ’n Ding.«
Die Premiere von Der Diener zweier Herren und die Ausstellungseröffnung fallen auf den gleichen Tag. Am Vorabend, nach einem aufreibenden Gespräch mit Cécile, die sich über die Geheimhaltung des Zieles und das, wie sie sagte, »absolut abwesende basisdemokratische Element« des Projektes beschwerte, hatte ihn die Pressefrau des Theaters um halb zwölf Uhr nachts angerufen. Nach einem anstrengenden Generalprobentag und dem knapp einstündigen Telefonat mit Cécile hatte Naïn schon halb im Delirium in seinem Bett gelegen. Sie brauche bis etwa zehn Uhr am nächsten Morgen eine Premierenkritik.
Er war aus dem Bett gestiegen, in die Küche gewankt, hatte sich einen Kaffee aufgesetzt und eine Flasche Weißwein kalt gestellt. Zwei Tassen Kaffee, eine Tüte und die Flasche später hatte er so gegen halb drei einen Rohtext stehen. Vollverstrahlt überarbeitete er ihn dann zwischen acht und neun Uhr morgens noch einmal. Um zehn musste er wieder im Monbijoupark sein, sie »sollten noch ein paar Szenen rundfeilen«, wie Roger in der SMS schrieb.
Als er jetzt, körperlich völlig am Ende, von der Seite die Premiere beobachtet, hält ihm Daniel in einer Szenenpause den Text unter die Nase. »Schöner Text, weißt du, wer den geschrieben hat?«
Naïn liest kurz rein. Er hat absolut keinen Plan mehr, was er fabriziert hatte. Er ist weder unzufrieden noch betroffen, er findet den Text lediglich erbärmlich. Er macht seine Arbeit, kippt zur Premierenfeier kurz angebunden ein paar Drinks und fährt dann in die Auguststraße zur Vernissage, wo Marianne und Cécile ungeduldig warten.
Um drei Uhr nachmittags wacht er auf. Neben ihm liegt irgendein Typ im Adamskostüm. Naïn geht in die Küche, macht einen Kaffee, weckt »Wie heißt du eigentlich?«, raucht mit ihm noch einen Frühstücksjoint und schickt ihn dann freundlich und bestimmt nach Hause. Dann geht er wieder in die Küche und kocht sich in Butter angebratene Spätzle, pfeffert das Ganze gut, streut noch etwas Zitronenthymian darüber, um zu guter Letzt die Portion mit ein paar Spritzern Olivenöl
Weitere Kostenlose Bücher