Der Clown ohne Ort
Namen der schwerfälligen Körper kämpfen kann; etwas Virtuelles, das mit dem Bewusstsein des Wirklichen ausgestattet ist. Ein ständiger Kampf zur Wiedereinführung der Revolte, die weder ein Instrument der Welteroberung noch eine Reaktionsmaschine ist.
Ästhetik und Glaube an Eleganz. Geschmacksfragen entscheiden bei ihm die Weltsicht. Auch keine schlechte Ansicht eines Hinabgestiegenen, auch keine schlechte Analyse.
Die Arbeit am Theater beginnt dahinzuplätschern. Die wilde Endprobenphase ist vorbei. Routine kommt auf. Aus dem idealistischen Hausbesetzerprojekt wurde sukzessive ein ökonomisch bedingtes, von dem Roger in einem Schwächeanfall schwer lallend behauptete: »Es geht beim Hexenkessel längst nicht mehr um Kunst allein, was denkst du denn? Seit ich Kinder habe, ist es vorbei mit dem Idealismus. Ist doch klar, dass wir auch Geld verdienen müssen!« Einzig einen experimentellen, den Irakkrieg thematisierenden Othello hatte er ein Jahr zuvor dem Produzenten abgerungen. Selbst das Wetter machte ihm einen Strich durch die Rechnung, womit auch die letzte Hoffnung seines Idealismus elend verreckte, wie er sagte. Mit dem Alter schwindet die Kraft zur Veränderung. Der Schmelztiegel der Kerntruppe war der Straßenkampf in der Mainzer Straße gewesen. Vor der gewaltsamen Räumung des besetzten Hauses durch die Polizei hatten sie anscheinend noch überlegt, Schusswaffen zu benutzen. Sie hatten sich dagegen entschieden. Als Pazifist war das Naïn nur recht, mit einem schalen Nachgeschmack des Resignierens.
8 Stunden und Askese
Der Zug schwebt sich durch die Landschaft, in den Feldern Morgendunst, in den Kopfhörern Japan , Hippiediven, Coco Rosie, »Basel ich komme!« im Hirn, das Denken auf verschobenen Spuren. Reste von MDMA, Grasovka, Gras und zwei Kippenpackungen in den Adern. Der Schaffner ein lustiger Kerl mit Zwirbelschnauzer. Klippan-Sofas in Buchow. Ein halbes Jahr nicht mehr unten gewesen. Bahndammsurfen. Gleisbettengelage. Nächsten Kurzen runterschütten, in Baden, Polen und Berlin was ziehen. Scraaatch. Spur verlieren. Ein zartes Pillchen als Verdauungshilfe, Haltungsnote 9,6 Nadia Comăneci, Vernunftspiele und Weltverbessererattitüden sprühen goldenen Glitter in sich weitende Pupillenschwärze. Kreuzritter spielen Krieg im Namen der Gerechtigkeit. Braunschweig schreit Graffiti: »Bomb the City.« Rumble in the jungle. Ein Bierchen zwischendurch. Denkhilfe beantragen – Antrag abgelehnt. Blödsinniges Rumgelungere, Langeweile einer zu langen Reise. Rauchfrei bis Hildesheim durchgehalten, ein Ringen durchzuckt das linke Augenlid, das rechte bricht mit – ein verbeamteter Blaumann läuft vorbei – wohlwollende Antipathien. Hitzewallungen im Bauch, hinein in aufgekratzte Mattheit, Sprunglust: Yma Sumac, Aztekenstimme oktavt sich in den Himmel, immer noch keine Vernunft zu fassen. Hügeliges Flachland, propellerbestückte Langeweile. Und dann wieder der tausendundeinste Tunnel, bis Mittelhessen Berge fressen. Schwupp und schluck.
Hochklappen, aufzippen, auspacken, drücken, Entspannungsseufzer. Wandlesend: Bitte hinterlassen Sie … Wieder am Platz, Paranoiaanfälle besteigen, Chemie voll da, das Hirn schüttet Liebe in die Welt. Zum Glück ein Abteil allein. Frankfurt Main Hbf. Krawattengriff. Vom Drogenschwall durchschwitzten Kater spielen. Vier sitzen da, der Müdigkeit ergeben: Was zählt, ist Kommunikation, was zählt, sind Haargel, Haltung und Sieg, der stolzgeschwellten Blickes über die randlose Brille in die Welt getragen wird. Röhre Hirsch, Hirsch röhre, ganz nach oben in die Mitte. In Mannheim steigen sie aus. Alle. Die armen Säue, denkt er, sich selbst nicht weniger bemitleidend. Er geht eine Kippe rauchen, gegen die Zugfahrtenleere; Langeweile ist anders, das hier ist schlichtes Satthaben der Geräusche und andauernden Bewegung.
Joint statt Kippe, Antichemie. Wieder hacke. Polytox. Endlich einnicken. Halbe Stunde später wieder wach. Aphex Twin im Ohr. Auch ein Fensterspeichler sein. Abdruck der grünen Mütze quer im Gesicht. Anrufen und lallen: »Komme doch erst morgen.« Gepäck ins Schließfach, Körper in den Park. Es bleibt eine laue Sommernacht.
Bei den Eltern alles wie gehabt: fordernde Liebe, zu viel und nicht genug. Geschwister überbordend lieben, auch eine Art der Kompensation. Nach einer Woche geschlagen abreisen. Die Legende vom Glück ohne Ende lesen. Rotz und Wasser heulen. Von Unverständnis gezeichnete Blicke ernten. Endstation Ostbahnhof. Melancholische
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