Der Clown ohne Ort
Idee!« beiseite.
Im Rahmen der Ausstellung wollen sie etwa hundert Kameraattrappen anbringen – als Sinnbild einer ausufernden Überwachung und Kontrolle durch eine ständig repressiver werdende Politik, »die bestimmt auch nur als Plan einiger Durchgeknallter angefangen hat«, sagt Cécile. 1984 sei schließlich längst überholt. Zwei Monate Planungszeit sind für diesen ersten Schritt vorgesehen. Dann sucht und druckt Chris innerhalb von fünf Minuten einen Antrag auf EU-Förderung aus dem Internet. Da sein Bruder im französischen Kulturministerium arbeitet und damit Zugang zu den richtigen Kanälen hat, hält er eine schnelle Bearbeitung des Antrages für sicher. Naïn schreibt zum Schluss noch eilig das Arbeitspapier um, daneben kritzelt er von großen Ausrufezeichen eingerahmt: »Wir sind R.evolution!« Nach kurzer Diskussion wird dies der vorläufige Titel ihrer Ausstellung:
ON
Original Nobodies
present:
We R:Evolution!
Das klang Naïn wie Anhänger schneller Schiffe . Außerdem soll unter www.wer-evolution.com eine Homepage eingerichtet werden. Louise will sich darum kümmern.
»Das kommt nicht durch«, meint Cécile trocken und legt noch ein vernichtendes »So können wir das gleich vergessen!« nach. »Welcher Beamte lässt schon so was als Kunstprojekt durchgehen?!«
»Gerade die!«, hält Naïn arbeitsfiebrig dagegen. »Aber sag mal, Chris, kann dein Bruder vielleicht was über die Person rausfinden, die unseren Antrag bearbeitet? Cécile könnte schon recht haben, falls wir an ’nen Konservativen geraten.«
»Eigentlich sollte er schon im Büro sein. Ich ruf ihn an«, sagt er und geht ins Schlafzimmer.
In der Zwischenzeit baut Louise einen Frühstücksjoint, Naïn gießt sich und Marianne einen doppelten Wodka ein. Er hat seit gestern Mittag weder gegessen noch geschlafen und trinkt seit gestern Abend. Der Kreislauf schlägt jetzt zu. Er muss dringend was essen.
Chris kommt wieder.
»Und?«
»Er ruft gleich zurück.«
»Chris, ich muss was essen.«
»Soll ich uns Crêpes machen?«
»Perfekt«, sagt Naïn schnalzig mit haschtrockenem Mund.
Auf dem Teller liegen die ersten fünf, sechs goldbraunen Crêpes. »Kannst du vielleicht den Crèmant richten? Der steht im Kühlschrank«, sagt Chris. Also taubschädlig Crémant aus dem Kühlschrank nehmen und Flasche und Gläser ins Wohnzimmer bringen. Cécile lohnt es mit einem Klaps auf seinen Arsch. Er reagiert nur mit einem müden Grinsen, lustige Apathie, denkt Naïn und geht wieder in die Küche. Chris muss aufs Klo, also übernimmt er kurz den Herd, sirrbeinig, nicht gut, wird schon, tief durchatmen … zusammenreißen! Reiß dich! Er hört noch einen fernen, tauben Schlag.
Ährm, was!? ich liege ja – auf dem Boden, ich liege auf dem Boden?! Denken denken. Augen wieder zu … ja … liegen … Boden … Augen auf! Augen auf!! Augen auf!!! Sich selbst Befehle geben. Augen auf!!!! Sich aufrappeln, aufgerappelt werden. »Ja geht schon« sagen. Sich benommen zwischen den Türpfosten abstützen. Leichtbeinig, schwer schwebend ins kühlere Wohnzimmer schwanken. Etwas klarer werden. »Danke« sagen. Das Zitronenwasser in einem Zug trinken. Ein zweites Glas hinterherkippen. Zum Tisch gehen und essen. »Mit Nutella bitte.« Ein weiteres Glas Wasser trinken. Vorsichtig am Crémant schlürfen. Das Glas leertrinken und dann wieder Wasser, viel Wasser. Noch eine Crêpe, mit Comté diesmal. Und dann gleich noch eine mit Ahornsirup. Man guckt ihm zu besorgt. Betretenes Schweigen vorwitzig brechen wollen. Erst recht peinlich bemüht wirken. Aufgeben und trinken, viel Wasser trinken, mehr Wasser trinken. Wird wieder, es wird.
Chris geht ins Schlafzimmer, telefonieren. Drei Minuten später kommt er grinsend zurück.
»Na, wie sieht’s aus?«, fragt Cécile.
»Also – mein Bruder hat sich ein bisschen umgehört. Soweit er das überblicken kann, ist für die Bearbeitung unseres Antrages zurzeit ein gewisser Monsieur Dufort zuständig. Der war in seiner Jugend bei den Trotzkisten engagiert.«
»Na dann sollte doch alles klargehen!«
»Er meint, unsere Chancen stünden nicht schlecht, nur unser Zeitrahmen könnte etwas knapp bemessen sein, die Antragsbegründung muss schon besonders gut werden, eine Empfehlung, die er mir gleich nächste Woche zuschicken will, sollte das allerdings beschleunigen. Sieht aus, als hätten wir die erste Hürde genommen.«
Naïn schenkt dem Staccatofiebrigen Crémant nach.
»Eigentlich sollten wir ’nen Champagner
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