Der Clown ohne Ort

ozeanblaue Seidenblume mit schwarzem Blütenstamm über dem rechten Ohr, goldene Glittertränen an den äußeren Lidwinkeln, grün geschminktes Porzellangesicht, Pippi Langrave, ADS auf Ecstasy in dem knielangen, safrangelben Prorsum-Drapé-Kleid aus geknoteter Chiffonseide. »Heute Abend heiße ich Lana, wie Anal, nur andersrum!«, so hatte sie sich vorgestellt. Nicht wirklich leicht zu vergessen, sein Sympathieschub.
    Ungefragt kommen sie rein, »Wieder fit, mein Lieber!?«, sagt Lucard, Lana lässt die Tür offen stehen. Naïn ist von der Überheblichkeit seiner Tonlage genervt. Er hat eine andere Begrüßung erwartet, komisch unbestimmte Aggressionsschübe sind das, da wirkt der Cocktail in eine eigene Richtung.
    »Echt lustig, wie unterschiedlich die GHB-Bowle anschlägt, wa?«, sagt Lucard.
    »GHB-Bowle?«, fragt Naïn. Jetzt sind die Aggressionsschübe auf seiner Seite, das erklärt einiges. Er schaut prüfend zu B rüber, ihr Blick verneint lakonisch. »Wollen wir noch was ziehen?«, fragt Lana. Nichts geht über ein Friedensnäschen.
    Die Küche blitzeblank, die Schwarzweißen weg, die Buffetreste neu angerichtet auf dem monolithisch in der Küchenmitte platzierten Arbeitsblock, der Raum strahlt jetzt eine eigenartige Kälte aus, vielleicht der glanzlackierten Möbel wegen, aufgeräumt, modern, schlicht, sachlich, auf dem neuesten Stand alles, als hätte hier nie eine Party stattgefunden, selbst im Möbelladen sähe das bewohnter aus. Es ist kein angenehmes Leben im Dreidimensionalen, denkt Naïn, er malt sich gern die Zeit dazu. »Sind nur noch wir hier?«, fragt er.
    »Nee, drüben schlafen noch fünf. Ich hab glaub ich echt ’n bissl viel reingehauen in die Mische. Das ist dieses krasse Sandoz-Zeug. Ein Freund schickt mir das direkt aus dem Labor. Verdammt! Ich wollte doch noch in die Bar weiter!«
    »Die hat doch längst nicht mehr offen«, sagt Lana.
    »Offiziell nicht. Aber heute ist Saisonabschluss.«
    »Ende November?«
    »Frag nicht mich !«
    »Das mit der Bar ist eh gelaufen! Mich langweilt die nur noch. Alles Druffis.«
    »Eben, B!«, sagt Lucard. »Eben deshalb sollten wir da unbedingt hingehen!«
    »Sorry, mir ist das definitiv zu kalt«, sagt B mit der ihr eigenen Bestimmtheit, die keinen weiteren Spielraum für Diskussionen lässt.
    »Ich hätt gern ’nen Wodka Milch ohne Eis«, sagt Lana.
    »Ich auch, aber bitte ohne Stoff«, witzelt Naïn Lucard hinterher. Der winkt nur ab, Naïn weiß nicht, ob nur gespielt hochnäsig, das hat ziemlich schwul ausgesehen, denkt er, sonst kennt er das nur von sich, die Dekadenz von Weichmachern und Hormonen.
    »Wahrscheinlich hab ich das echt überdosiert!«, philosophiert Lucard beim Eingießen weiter. Das klang eher nach »Theoretisch funktioniert’s so, wahrscheinlich«. Leise zieht die Wut in Naïn hinein – eigentlich aber krass lustig, dass sich Lucard die eigene Party eingeschläfert hat, denkt er. »Das merkst du ’n bisschen spät«, sagt Lana. Naïn muss laut auflachen.
    »Was ist daran so witzig?«, geifert ihn Lucard an. Auf einem komischen Trip ist der gerade, Hunde, die bellen, beißen nicht, wütend implodierendes Spitznäschen, wieder platzt es unkontrolliert aus Naïn.
    »Was ist daran so witzig? Da hätte einer abkratzen können!« Jetzt schreit Lucard, baut sich vor ihm auf, der rechte Arm zuckt – oje, der hat Probleme mit seiner Affektkontrolle, denkt Naïn. Hätte können! Hehe. Da kann gerade! Ist der verschoben! Er blickt in Lucards Nebelaugen, wutentbrannte Sehschlitze sind das, wieder platzt die Häme in Gelächter, von ganz tief innen kommt das, da schnellt Lucards Faust in sein Gesicht.
    Man könnte jetzt zwei Standpunkte einnehmen:
    Einerseits wird hier gerade eine Transe geschlagen, nach gängigem Vorurteil prädestiniertes Opfer, zu schwach, sich zu wehren. Repeat: die Faust zieht vor, Bild um Bild comicfigural erstarrte Fressen, Close-up, Faust und Wange, Einschlag, Deformation, Fleischfalten schwappen hin, her, Augen schließen, gemach, Kopf knickt weg, Perücke und Spuckefäden zeichnen die zurückgelegte Strecke, Naïn geht zu Boden.
    Andererseits ist das eben nur ein Vorurteil. Fast Forward: Naïn steht zackig auf, stürzt auf Lucard und rammt ihm mit einer Kreisbewegung des Oberkörpers den Ellenbogen so mangaesk mit ZaaaK!!! -Schriftzug in die Brust. Praktisch, dieser leicht nach vorn geneigte Schwerpunkt in High Heels. Lucard klappt zusammen, in einem ansehnlichen Bogen stürzt er zu Boden und bleibt nach Luft