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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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schnappend an der Küchenzeile liegen. In ein paar Sekunden wird das wieder, Schlag aufs Brustbein, denkt Naïn, Lucard krümmt sich, wird bleich, Naïn beugt sich zu ihm und hält ihm die Arme hoch. Lucard krampft noch drei-, viermal, dann atmet er fast normal. »Tut mir leid, das war keine Absicht«, sagt Naïn adrenalintrunken, während er sich Perücke und Titten zurechtschiebt.
    »Ihr habt doch ’nen Knall!«, ruft Lana, mehr belustigt als erschrocken. B guckt leer, als fahre gerade ein falscher Film an ihr vorbei. Lucard zieht sich an der Arbeitsplatte hoch, hustet und spuckt ins Waschbecken, dreht den Hahn auf und spült den Glibberklumpen weg.
    Ein Schweigen: Lucard macht die Drinks fertig, reicht ihnen die Gläser, sie stoßen betreten, Lucard großspurig auf die Freundschaft an. Guter Wodka, gute Milch, wie Naïn findet. Unter seinem linken Auge zieht ein harter Schmerz in den Knochen, er versucht, ihn zu verreiben.
    »Lucard, was sollte das gerade?«, platzt aus B.
    »Es geht doch nichts über eine Schlägerei zwischen Freunden, B!«
    »Freunden? Da geht einiges über eine Schlägerei zwischen Freunden, mein Lieber! Einiges!«
    »Sei jetzt kein Spielverderber! Er hat es doch pro…«
    »Du musst deine Ausbrüche mal unter Kontrolle kriegen! Das geht so nicht!«
    »Schon gut«, sagt Naïn, schwingt sich auf den Küchenblock und lässt die Füße baumeln, »beim nächsten Mal bin ich dran.«
    Lana reagiert als Einzige mit einem blöden Kichern. Wahrscheinlich hat er wieder zu leise gesprochen, was soll diese verdammte Pseudoschüchternheit? Schlag der Hydra den Kopf nicht ab!? Verbrennen? Worum ging’s gerade? Fuck, was ist los? Das wird zum Gruselkabinett hier! Ihm scheint das hier gelaufen.
    »Sag mal, kennen wir uns nicht?«, fragt Lucard. Spätzünder.
    Das Novembertrübe bleibt an der Frontscheibe kleben, sie fahren viel zu schnell, irgendwas zwischen achtzig und neunzig, der einarmige Wischer hält Naïn in einer Art Intensivtrance wach, jetzt fasst ihm jemand von hinten an die Schulter. »Voll krass, dass ich dich nicht erkannt habe! Wie geil ist das denn?! Die Welt ist echt klein, verdammt! Geht gar nicht!«
    »Ja, Berlin ist echt klein«, murmelt Naïn mehr in sich als zu Lucard, der sich nicht mehr einkriegt. Er hatte wieder eine Blitzfaust erwartet, Lucard aber hatte gleich überintensiv nachgefragt, ob er noch was von ihr gehört hätte.
    Das hatte er. Zuletzt schickte sie ihm ein Bild ihres Fabriklofts, an einem Lüftungsschacht hing sie, in gelben Seilen festgezurrt anderthalb Meter über ihrem Bett schwebte sie da in der Horizontalen, leider nur in Unterwäsche, aber trotzdem ziemlich cool, bondagemäßig, so mit eisigem Vipernblick direkt in die Kamera funkelnd. Ihr Freund hielt die in der Hand, wie sie schrieb. Die Mail hatte fröhlich, fast glücklich geklungen. »Sie ist gerade in Chicago. Mehr weiß ich aber auch nicht«, halblog Naïn sich frei. Bestrebelt tranken sie noch zwei Runden, während Lucard über die Vor- und Nachteile von Fernbeziehungen räsonierte. Mit ihm und W habe das ja nicht klappen können, er habe das voll vergeigt, sie führe keine Beziehungen im klassischen Sinn, eher habe sie auf der Welt verteilt Bekannte und Freunde, mit manchen habe sie Sex, mit anderen wieder nicht, die Auswahl sei da eher zufälliger Natur, wer könne ihr das verdenken, bei dem Aussehen, sagte er, bei den Augen, dachte Naïn, »Ich hab Lust, Klavier zu spielen«, sagte Lucard, ihm auch recht, lieber er produzierte sich daran als an einem Endlosmonolog, dachte Naïn. Da zog Lana schon ihre Pumps aus und ging voran ins obere Stockwerk.
    Das Musikzimmer zweckentleert: Flügel, Schrank, Notenständer. Die Fensterwand gab den Blick frei auf einen idyllisch berankten Innenhof, blauberänderte Nachtruhe. Sie setzten sich ans Fenster, Lucard ans Klavier. Regungslos, mit waschlappig herabhängenden Armen, hielt er sie eine halbe Minute in seiner Theatralik gefangen, atmete sukzessive ruhiger, sammelte sich, winkelte die Arme an, fast sah es aus, als dirigiere, als taste er seinen Körper ab, als gäbe es eine Ebene zwischen ihm und den zu spielenden Noten, die etwas mit Haltung und Gefühl zu tun hat. Pathetisch hob und senkte er die Hände, dritte Welle, die Linke fiel traumwandlerisch in die Tasten. Naïn trank zu schnell, die Mädels nippten an ihren Gläsern, während er seins leersoff.
    Naïn legte sich in die Melodie: dass er das in seinem Zustand noch so gut hinkriegt!, dachte er, besser als

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