Der Clown ohne Ort
auf!, schallt es von überall zurück. Frühstück, Milchkaffee und Zigarette, mit Flore im Bett: Hast du Lust, zu vögeln?, fragt sie. Und? Ich? Si claro! Pfeif mich ins Cabaret: der Deuwel wierd dech hoalen, moren iarscht, ech weeß net, wör ich jean. Die Sprache einer Kindheit sprechen.
Ich liege in der Embryonalstellung, ich sehe einen Gewehrkolben, daneben blond behaarte Waden im Frühlingsgras, die Landschaft verschwimmt im Ungefähren. Aus der rechten Schulter pulsieren Glutwellen in meinen lahmen Körper, die Wunde erstversorgt, das Blut hat sich durch die Mullbinde gesaugt.
»Ich bin Bela, das ist Wilma«, höre ich, man beugt sich zu mir runter, »ein glatter Durchschuss, es wird gut verheilen, ich hab als Sanitäter an der Front gedient – denke ich –, es tut uns wirklich leid, wir haben Sie für einen Städter gehalten, es gab schon länger keinen Überfall mehr, zuletzt haben sie doch immer eine Vorhut – ganz in der Nähe wohnt der Doktor, der wird sich das noch mal anschauen. Ganz sicher wird das gut verheilen – hier.« Er hält mir das Gebundene vors Gesicht, in meinem Kopf Verständnislosigkeit, Apathie vielleicht, in Gestik und Mimik der beiden Bedauern, Ehrfurcht, als hätten sie sich selbst verletzt, als hätte das für sie und nicht für mich ernste Konsequenzen. Ich nicke gen Rucksack.
»Könnt ihr mir aufhelfen?« Das Sprechen fällt schwer, kloßig würgen sich die Silben raus.
Sie setzen mich auf, greifen mich am Hosengürtel, halb tragen, halb schleifen sie mich an den Stamm. Flach keuchend weide ich mir den Rücken bequemer an.
»Wir haben davon gehört, die ganze Gegend spricht schon darüber«, sagt sie, in die Leere starrend.
»So?« Jetzt fixieren sie sich betreten. Zu schwach, das zu bewerten, das Denken verzerrt, Schmerzmittel bräuchte ich, spiralförmig zieht’s mich hinab, schlägt mir den Atem und den Magen nieder, ich beuge mich so weit es eben geht nach rechts und übergebe mich. Bonjour Weinspeck, denke ich lustig.
Wilma wischt mir Mund und Hose sauber, dann hält sie mir den Wasserbeutel hin. Jede Bewegung brennt, als glühe eine Metallstange mir in der Brust, ich nuckle mehr, als ich trinke, Wasser träufelt mir aus dem Mund, ich lächle, vielleicht grinse ich, freue mich einfach, weiß nicht woher. Kinder …! Listig, so ’n hormongetränkter Defätismus.
Westgut
B streckt ihm ein Glas Mineralwasser entgegen. Naïn nimmt und trinkt es leer. Sie schenkt ihm nach, same procedure, die Konzentration liegt auf seinem Wasserbauch, die Kohlensäure sprudelt, oh! knistert sich lustig in den Schädel.
»Wo sind denn alle hin?«, fragt er.
»Du hast zwei Stunden geschlafen«, sagt B.
Das macht kein Sinn, denkt er, bei all der Scheiße, die ich gerade intus habe, keinen Sinn macht das, flüstert er sich zu, keinen Sinn ein drittes Mal. Er muss pissen, sagt es, steht auf, Stoff wie Wasser ist die Luft, weichbeinig tritt sich’s ins Bad, wo er vor gefühlten fünf Minuten erst einen … nicht daran denken, befiehlt, er, sich. Er stellt sich vors Klo, ihm ist schwummrig, von den Waden her. Saum greifen, auspacken, losdrücken, lösend, fast besser als der Orgasmus vor … Idiot! Er lächelt, komisch leicht, böse fast in sich hinein, wippend die Knie, lässt den Blick schweifen, am Fensterbrett bleibt der Naseweis hängen, wo zwei gottverdammt einsame, ziehfertige Lines liegen. Einpacken, strecken, da hilft kein Schütteln und kein Klopfen, der Hos’ gehört der letzte Tropfen, zum Fenster gehen, die Linke andippen – könnte schon das Zeug von vorhin sein.
Sie stehen beide vor dem Spiegel jetzt, wie Kinder kichernd zupfen sie sich zurecht, er zieht noch mal die Lippen nach, B pudert sich die Wangen rosa, jemand drückt die Klinke, es klopft.
»Bela holt Hilfe«, sagt sie, »sie müssten bald da sein«. Ich sitze noch am Baum, der Nacken steif, der Glutstrom in meiner Schulter fließt inzwischen ruhiger in seinem Schmerzbett, pulsiert unregelmäßig in den Brustkorb, angeschossen, aus dem Lebendigen gespalten, so ist das also, wäre schön leicht, nicht mehr atmen zu müssen. Es zieht vorbei, belanglos, wie die Sonne im fahlen Himmel, starren Blickes gleitet das Denken ins Verlorene zurück, genug gesehen und erlebt, schlafen können, schlafen. Die Augen trüben.
»Wie lange habe ich …?«
»Eine halbe Stunde vielleicht.«
»Wie heißt du?«
»Wilma. Alles wird gut.«
»Dem Leben durch den Tod erwachsen«, stammele ich. Alles wird gut, hatte auch L immer
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