Der Club der Lust
übliche Beute. Stattdessen war er mittleren Alters, sein sandblondes Haar gelockt – um Himmels willen! –, und er sah genauso aus wie die Art schüchterner, gehemmter Bürotyp, der immer noch Westen trug und entweder zu Hause bei seiner Mutter wohnte oder eine Haushälterin hatte, die sich um ihn kümmerte.
Wahrscheinlich ein Lehrer. Oder ein Bibliothekar. Oder vielleicht sogar ein Universitätsdozent, wenn er in Redwych ausstieg.
Und doch …
Ohne Vorwarnung sah der große blonde Mann auf einmal in ihre Richtung, und einen Moment lang war sein Gesichtsausdruck unglaublich vielschichtig und komplex. Natalie sah Schüchternheit, definitiv eine sexuelle Anziehung und noch etwas anderes, das sich aber so schnell verflüchtigte, dass sie sich fragte, ob sie schon Halluzinationen hätte. Doch gleich darauf wurde ihr klar, dass der Mann amüsiert wirkte. Er lachte innerlich. Natalie hatte zwar keine Ahnung, wieso, aber in genau jenem Moment wollte sie unbedingt an seiner Belustigung teilhaben.
Setz dich zu mir, beschwor sie ihn lautlos und hoffte gleichzeitig, dass sie nicht zu offenkundig wirkte.
Ihre Beute zögerte. Seine Augen blickten kurz auf einen Sitz und dann auf einen zweiten – so als wollte er sie necken. Schließlich nahm er seinen großen, altmodischen Lederaktenkoffer auf, als wolle er weitergehen.
Du Penner! Hör auf, mich zu verarschen, dachte Natalie, um diesen Gedanken aber gleich darauf zurückzunehmen, als sie sah, dass die reine Gesichtshaut des Mannes vor Scham errötete. Der spielt keine Spiele, du dumme Kuh. Er ist nur schüchtern!
«Entschuldigen Sie … Halten Sie diesen Sitz für jemanden frei?»
Die Stimme bestätigte ihre Vermutungen. Sie war weich und zurückhaltend. Das Organ eines sanftmütigen Mannes, der eine Heidenangst vor Frauen hatte. Und doch hatte sie auch etwas Anziehendes an sich.
«Nein. Er gehört ganz Ihnen. Setzen Sie sich nur», murmelte Natalie und zog ihre Mundwinkel einige Zentimeter höher. Der Kerl mochte vielleicht nicht ihr Typ sein, war aber trotzdem auf merkwürdige Weise süß.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ihr Reisegefährte sich sortiert hatte. Er musste einen Mantel, den Aktenkoffer und eine Zeitung verstauen. In dem Abteil herrschte nicht nur wenig Beinfreiheit,auch der Platz für das Gepäck war äußerst knapp bemessen. Während er da so an seinem Mantel – den er zusammenfaltete und auf den Schoß legte –, dann an seinem Ausziehtischchen und schließlich mit einer Sammlung Akten, Bücher und Notizzetteln herumfummelte, verflüchtigte sich seine Anziehungskraft auf Natalie allerdings erheblich.
Ich fass es nicht, er ist tatsächlich Lehrer, dachte Natalie, während ihr Gegenüber ein Schulheft aufschlug, das er mit einem Rotstift bearbeitete. Und ein richtiger alter Klemmsack, fügte sie still hinzu, als sie beobachtete, wie er sein Zeugs erneut ordnete und dann ein dünnes Gedichtbändchen durchblätterte, um etwas nachzuschlagen.
Doch dann sah sie sein Lesezeichen.
Ach, Herr Lehrer, Sie schmutziger Junge, dachte sie. Die anfängliche Irritation über ihn war völlig vergessen. Er markierte seine Seiten mit etwas, das verdächtig nach einer anzüglichen Postkarte aussah. Eine sepiafarbene Fotografie zweier Frauen in Unterwäsche, von denen die eine der anderen den Hintern versohlte. Das Bild war zwar nicht unbedingt explizit, und Natalie erhaschte auch nur einen sehr kurzen Blick darauf, aber irgendwie löste das verblichene Foto etwas in ihr aus. Als sie die Beine übereinander schlug, merkte sie, dass sie bereits ganz feucht war.
Himmel Herrgott, Mädel, was ist denn nur los mit dir? Er ist doch nur ein trockener Schulmeister mit einer dubiosen Vorliebe für Postkarten, und du fährst sofort auf ihn ab? Bist du schon so tief gesunken, dass du auf jemanden wie den stehst?
Doch so war es. Als sie diskret auf ihrem Sitz hin und her rutschte, konnte sie die glitschige Nässe in ihrem Höschen und die Schwellung ihrer Schamlippen und ihrer Fotze spüren. Jetzt schon.
Wie lange war es eigentlich her, dass sie mit jemandem gefickt hatte? Der Sex in ihrer unsteten Beziehung mit Alan war in letzter Zeit etwas zu kurz gekommen. Nicht dass ihr das wirklichetwas ausmachte. Sie war viel zu beschäftigt damit gewesen, sich Gedanken über ihren Job bei einem Magazin zu machen. Und das wohl nicht ganz unbegründet, dachte sie, als ihr voller Bitterkeit erneut der Grund für ihre Reiseunlust einfiel.
Nimm dir doch ein bisschen Zeit
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