Der Code des Luzifer
erteilt. Die Zitadelle wurde von zwanzig seiner treuesten Schützen bewacht, und eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern beaufsichtigte die Geräte. Alle, die noch da waren, fieberten mit geradezu fanatischem Eifer dem Augenblick entgegen, in dem der Energiestoß neues Leben erschaffen würde. Für viele war es der Höhepunkt jahrelanger Arbeit auf das eine Ziel hin, ungeachtet aller Spötter ein wissenschaftliches Wunder zu vollbringen. Und Fedir Tischenko war für sie der Erwählte.
Tischenko stand allein in dem Kontrollraum ganz oben in einem der beiden vierzig Meter hohen, eigens für ihn errichteten Türme, die Max etwa drei Kilometer vom Berg entfernt erspäht hatte. Blitze griffen nach den Bauwerken, konnten ihm aber nichts anhaben. Der Kontrollraum war gebaut wie einEisenkäfig, und die Gitterstäbe knisterten vor Hochspannung, doch innerhalb des Käfigs kamen die Blitze nicht an ihn heran. Hier war der einzige Ort, wo das elektrische Feld die Stärke null aufwies.
Die Blitze wurden durch supraleitende Spulen, die um die Türme gewickelt waren, nach unten geleitet. Jede Spule bestand aus neuntausend Drähten, die einen Durchmesser vom Zehntel eines Menschenhaares hatten. Hoch aufgeladene Energie strömte in die unterirdische, drei Kilometer lang in die Ausläufer des Berges geschnittene Beschleunigungskammer. Auf die Weise wurde eine ungeheure Spannung aufgebaut, Millionen und Abermillionen Volt, von der die Partikel zusammengedrängt wurden wie Autos bei einem Riesenstau auf der Autobahn. Wenn die gewaltige Kraft kosmischer Energiepartikel durch das Gewitter überhitzt wurde und ihm einen Blitzstrahl in die wartenden Hände gab, würde er ihn in den Teilchenbeschleuniger schleudern wie einen Lastwagen, der mit hundertachtzig in einen Verkehrsstau kracht.
Der Urknall.
Sayid war in einen Eisblock eingeschlossen, es sah aus, als schwebte er in tiefem Wasser. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen halb geöffnet wie im Schlaf. Ein Ausdruck von Panik lag in seinen Zügen. Vielleicht hatte er, bevor er bewusstlos wurde, ein letztes Mal versucht, sich aus der Umklammerung der Eismassen zu befreien.
Das musste die Kammer sein, in der Tischenko die Tiere einfror. Mit kryogenem Gas, wie es zur Tiefkühlung verwendet wird, wurde die enorme Hitzeentwicklung des Teilchenbeschleunigers in überschaubaren Grenzen gehalten. Sayid war erfroren.
Max drückte sein Gesicht an das Eis. Er hatte versagt, er hatte seinen Freund nicht beschützen können. Das war alles seine Schuld. Er dachte an ihre gemeinsame Reise zurück und machte sich heftige Vorwürfe, dass er Sayid hatte mitkommen lassen.
Außer sich vor Wut und Schmerz hackte er mit dem Eispickel immer und immer wieder auf den riesigen gefrorenen Würfel ein. Irgendwann hörte er auf. Sinnlose Kraftvergeudung. Sayid steckte viel zu tief da drin. Max verfluchte seinen kindischen Ausbruch. Die Wut hatte ihn blind für die Klugheit und den Mut seines Freundes gemacht. Sayid hatte bis zum bitteren Ende an ihn geglaubt. Sayids Hände drückten an das Eis, und jetzt entdeckte Max die Botschaft auf seiner linken Handfläche. Durch das Eis sah sie etwas verschwommen aus, aber die dicken, mit schwarzem Filzstift geschriebenen Buchstaben waren trotzdem gut zu erkennen:
CUT BEARS CLAW
»Cut bears claw? Schneide Bärenkralle?«, wiederholte Max ein ums andere Mal. Er wusste, Sayid hatte den Code geknackt, das magische Quadrat war der Schlüssel für die codierte Botschaft auf dem Kristall. Sayid hatte beides bei sich gehabt. Und noch in den letzten Minuten seines Lebens hatte er daran geglaubt, dass Max ihn finden würde.
»Gut gemacht, mein Freund. Du bist ein Genie. Und ich werde dich nicht hier zurücklassen. Ich bringe dich nach Hause zu deiner Mum. Versprochen«, flüsterte Max.
Bärenkralle? Wo? Wie? Eisbär? Gefrorener Bär? Er kam nicht dahinter, aber wenn das Zabalas verschlüsselte Botschaft war, dann war es von entscheidender Bedeutung. Max klettertehinter den Eisblock, in dem Sayid eingeschlossen war, und tastete nach dem Ventil an dem dicken, warmen Leitungsrohr. Er drehte es zu; die Druckanzeige fiel. Dann stellte er sich auf die am Boden verlegten Rohre, lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand und schlug mit dem Eispickel so fest zu, wie er konnte.
Wasser schoss aus dem Loch, das er in das dicke Rohr geschlagen hatte, und sprudelte auf den Eisblock. Max hatte die Leitung angezapft, die von Erdwärme aufgeheiztes Wasser aus der Tiefe
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