Der Code des Luzifer
reglos in der Luft. Wenn er sich nicht rechtzeitig umdrehte, würde er das ihm entgegenschwebende Trapez verfehlen. Der Mann warf sich herum und seine Hände bekamen die auf ihn zuschwingende Stange genau im richtigen Moment zu fassen. Mit geübter Leichtigkeit schwang er sich zu dem Jungen hinüber, der das Trapez festhielt.
Laurent Fauvre saß auf der Plattform, bestäubte sich die Hände mit Talkumpuder, ergriff ein Seil und ließ sich zum Fundament des Gerüsts herabgleiten.
Abdullah stupste Max an und deutete mit dem Kopf zum Fuß des Trapezes, einem ausgehöhlten Krater wie die anderen, jedoch mit scharfkantigen Steinen gefüllt.
»Kein Sicherheitsnetz«, flüsterte er. »Wenn er stürzt, stirbt er.«
Max folgte Abdullah, der sich zu dem Gerüst aufmachte. Schlimm genug, dass Laurent Fauvre jedes Mal, wenn er sich aufs Trapez schwang, sein Leben riskierte, doch jetzt sah Max auch noch, dass er sich vom Seil in einen Rollstuhl herabließ.
Fauvre tupfte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab, das er sich dann um die Schultern schlang. Abdullah beugte sich vor, küsste seinem Freund die Wangen, schüttelte ihm die Hand und hielt sie einen Augenblick freundschaftlich fest.
»Allah, der Barmherzige, gewährt dir seinen Schutz, mein Freund«, sagte er.
»Offenbar hast du ein gutes Wort für mich eingelegt.« Der Franzose grinste breit.
Laurent Fauvre sah zu Sophie herüber. Max hielt sich zurück.Sophies Vater hatte bereits in seine Richtung geblickt, ihn aber wohl als unwichtig eingestuft.
»Sophie«, sagte Fauvre jetzt, und die Liebe, die er für seine Tochter empfand, war nicht zu übersehen. Die in sein ledriges Gesicht eingegrabenen Falten verzogen sich zu einem Lächeln. Sophie küsste ihn.
»Papa.«
Sie lächelte, aber Max sah, dass es nicht echt war. Und Fauvre spürte es auch. Ein Schatten von Traurigkeit umwölkte sein Gesicht, zog aber so schnell vorüber, wie er gekommen war. Er nickte.
»Gott sei Dank bist du in Sicherheit«, sagte er. »Du bereitest mir mehr Sorgen als die Tiere hier, um die ich mich kümmere.«
»Nicht, bitte, Papa«, sagte Sophie leise.
Ihr Vater wollte schon weitersprechen, überlegte es sich aber anders. Er sah Max an.
»Und das ist der Junge, der dir geholfen hat?« Laurent Fauvre streckte Max die Hand entgegen, sein Griff war fest, aber ohne jede übertriebene Demonstration von Stärke.
»Sei mir willkommen.«
»Vielen Dank, Monsieur Fauvre. Ich glaube allerdings, jetzt bin ich es, der Ihre Hilfe benötigt.«
Fauvre nickte, ließ seinen Blick noch einen Moment auf Max ruhen und drückte dann auf diverse Knöpfe an seinem Rollstuhl.
»Wenn ihr euch eingerichtet habt, frühstücken wir. Abdullah, lass uns reden. Sophie, zeig dem jungen Herrn Gordon sein Zimmer.«
Der Rollstuhl schnurrte davon, und erst da fiel Max auf, dass sich ein Fahrweg rings um die Tierpferche schlängelte. LaurentFauvre konnte in seiner ummauerten Stadt fahren, wohin er wollte.
Max sah ihm nach. Als Fauvre und Abdullah einen Eisenkäfig passierten, der eine oberhalb einer Rinne errichtete Plattform umschloss, sprang ein Löwenmännchen gegen das Gitter. Bei seinem zähnebleckenden, tiefen Knurren fingen die Affen erschreckt zu schreien an und Abdullah machte, eine Hand auf der Brust, einen Satz rückwärts. Fauvre war bei dem Überraschungsangriff nicht einmal zusammengezuckt.
»Lass das sein! Du hast Abdullah erschreckt!«, fuhr er den Löwen an. Dann griff er durch die Stäbe und kraulte sein Kinn. Der Löwe ließ sich stöhnend auf den Bauch plumpsen wie eine Hauskatze, die sich über ein wenig Aufmerksamkeit freut.
Eine Autotür schlug zu. Max drehte sich um. Sophie hatte ihre Rucksäcke geholt.
»Versuch so etwas gar nicht erst. Dieser Löwe ist ein Killer. Das sind alle Großkatzen hier, bloß will mein Vater das nicht glauben. Eines Tages werden sie ihn sich holen. Und jetzt komm, ich zeig dir dein Zelt.«
Max nahm seinen Rucksack und folgte ihr. Er würde jetzt in einem Zelt schlafen? Da wollte er mal hoffen, dass Laurent Fauvre die Katzen nicht über Nacht herausließ, wie man es mit Stubentigern zu Hause in England machte.
Max betrachtete die alten Befestigungsanlagen. Es würde einige Stunden dauern, dieses Heiligtum zu erkunden. Und wer töricht genug war, hier uneingeladen einzudringen, konnte als Frühstück für mindestens ein Dutzend wilder Tiere enden. Ein Vorsicht-bissiger-Hund -Schild am Eingang wäre hier unangebracht, Vorsicht, bissige Katze käme schon eher
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