Der Code des Luzifer
sich zu ergeben. Das ist die einzige von einer Mauer umringte Stadt hier. Während des letzten Kampfes fegte ein Gewitter über den Berg. Die Regentropfen leuchteten in den letzten Sonnenstrahlen hell auf. Les Larmes des Anges – die Tränen der Engel. Die haben die Verteidiger geblendet. Die Franzosen aus der Garnison sind an Ort und Stelle gestorben. Und noch heute sagt man, wenn der Wind von den Bergen herunterkommt, könne man die Schreie der Sterbenden hören.«
Der Geländewagen ließ eine Staubfahne hinter sich, als Abdullah mit beschleunigtem Tempo auf die alte Stadt zufuhr. Ihre Mauern mussten dreißig, vierzig Meter hoch sein. Die Flügel eines riesigen schmiedeeisernen Tores öffneten sich, als der Geländewagen näher kam. Max fragte sich, was ihn wohl erwartete,als sie unter dem Torbogen hindurch in die Stadt hineinrollten, die die Franzosen Engelstränen genannt hatten.
Genau genommen war von der Stadt nicht mehr viel übrig; sie bestand zum größten Teil aus Befestigungsmauern und vereinzelten anderen Bauwerken. Das ganze Innere erinnerte an einen riesigen Zoo. Große ausgehobene Erdlöcher, manche davon mit Wasser gefüllt, dienten als Tränken. Andere bildeten natürliche Einfriedungen für die verschiedensten Tiere. Die Mauern waren mindestens fünf Meter dick und erstreckten sich, so weit Max’ Auge reichte, bis sie schließlich an die dünnen Ausläufer der Berge stießen, die die alte Festungsstadt beinahe berührten.
Auf einer Seite der Stadtmauer erkannte Max höhlenartige Öffnungen, darunter so etwas wie tiefe Krater. Er drehte sich auf seinem Sitz so weit es ging nach hinten und erhaschte einen Blick auf orangegelbe und dunkle Streifen. Ein Tiger kletterte gerade seelenruhig an einem Baumstamm hinauf, der an der Felswand lehnte und ihm so einen bequemen Zugang zu seiner Lagerstatt bot. Fell und Muskeln des Tiers schimmerten, als die Großkatze, die eine tote Ziege im Maul trug, die letzten Meter springend überwand und in der Dunkelheit ihrer Höhle verschwand. Noch Respekt gebietender war allerdings der zweite Tiger, der das Geschehen verfolgte. Ein großes Männchen, das auf einem Felsvorsprung lagerte, ohne vom Tun des Weibchens groß Notiz zu nehmen. Das massige Tier mit dem großen Kopf richtete seine Aufmerksamkeit vielmehr auf Max. Bernsteingelbe Augen folgten ihm reglos und wachsam zugleich.
»Habt ihr den Tiger gesehen?«, sprudelte Max heraus. »Der war ja riesig. Was ist das hier? Das sieht ja fast so aus wie ein Safaripark.«
Abdullah steuerte den Geländewagen um einen Kraterrandherum. Von Menschen errichtete Hindernisse wie bei einem Hindernisparcours, vermischt mit Felsblöcken und abgestorbenen Bäumen, waren darin zu erkennen – der perfekte Lebensraum für Affen.
»Das ist der beste Ausdruck dafür, Mister Gordon«, sagte Abdullah und steuerte den Wagen auf ein offeneres Gebiet zu, wo ein riesiges Eisengerüst in den Himmel ragte. »Diese tiefen Löcher, das sind Bombenkrater. Die sind für viele Tiere hier einfach perfekt. Schließlich gehören etliche zu den geschützten und bedrohten Arten. Durch einen glücklichen Umstand haben Krieg und Zerstörung diesen Tieren einen neuen Lebensraum eröffnet. Die Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Mauern konnten sie aber nicht niederreißen. Sophies Vater hat das Wasser aus den Bergen umgeleitet und auf diese Weise natürliche Wasserstellen geschaffen. Hier sind die Tiere so weit geschützt und in Sicherheit, wie nur irgend möglich. Ah, da ist ja Laurent.«
Im Schutz der Mauern war es schon heiß. Max stieg aus dem Wagen aus. Sie hatten vor dem Eisengerüst gehalten, das wie eine Trapezplattform gebaut war, die in großer Höhe über einen der Krater ragte. Die Stahlträger erhoben sich fünfundzwanzig Meter oder mehr in die Höhe, und Max schaute gebannt zu der Gestalt, die sich, an eine Trapezstange geklammert, über den freien Raum schwang.
Es war kein junger Mann, der dort über ihnen hing – das Sonnenlicht fing sich in seinem grauen Haar. Doch trotz seines Alters zeichneten sich durch seinen Gymnastikanzug hindurch deutlich die kräftigen Muskeln seines Oberkörpers ab. Ein junger Araber in kurzer weißer Hose und T-Shirt stand auf der gegenüberliegenden Plattform und schwenkte eine zweite Trapezstange über den Abgrund. Max sah, wie sich der Bizeps desMannes vor Anstrengung spannte, als er Absprungstellung einnahm, seinen Körper verdrehte und mitten in der Luft losließ.
Einen Augenblick lang hing er
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