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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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schmaler
Pfad zu erkennen. Endlich ein Anzeichen von Zivilisation, freute er sich und
begann dem schmalen Weg zu folgen. Auch die Vegetation wurde nach der Kargheit
im Abstieg wieder üppiger. Die spärlichen Flechten und Moose wichen kleinen
Büschen, dann ersten kleinen Bäumchen und zuletzt so etwas wie einem kleinen
Wald. Als er um die Felswand bog, breitete sich vor ihm das Tal aus, in dem
eine lang gezogene Wasserfläche türkisfarben schimmerte. Davor erblickte er
eine Straße und auf der gegenüberliegenden Talseite einen weiteren
beeindruckenden Wasserfall, der im Sonnenlicht glitzernd in den See stürzte.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag: Das, was er vor sich sah, war ein
norwegischer Fjord! Die gigantische Naturkulisse war nicht zu missdeuten. Er
befand sich irgendwo an der Westküste Norwegens, nicht weit entfernt vom Meer,
in das jeder Fjord mündete. Der Höhe der Sonne und den abtauenden Schneefeldern
nach musste es Mai oder Juni sein. Endlich konnte er einigermaßen einordnen, wo
er sich befand. Endlich Fakten.
    In der
Euphorie des Augenblicks bog er um einen großen Findling, der auf dem nun
breiter werdenden Pfad lag und sowohl den Weg als auch die Sicht auf das
restliche Tal versperrt hatte. Er machte gerade einen vorsichtigen Schritt auf
die Seite, als seine wachen Augen im unter ihm liegenden Wald eine Reflexion
wahrnahmen. Es war nur ein kurzer Lichtblitz gewesen, der durch die Zweige des
Gebüsches gedrungen war, doch er erstarrte. Etwas in ihm schaltete in einen anderen
Modus. Alarm! Instinktiv ahnte er, was er da gerade gesehen hatte, und er
begann automatisch damit, seine Umgebung zu analysieren, Entfernungen und
Hanggefälle zu schätzen. Er ging in die Hocke und blickte noch einmal in
Richtung des Lichtblitzes, bevor er lautlos und entschlossen weiterging.
    Ute von
Heesen öffnete die Tür zur Dienststelle und blickte sich vorsichtig um. Ihr
Lebensabschnittsgefährte und Wohnungsmitrenovierer war nirgendwo zu sehen, und
auch Franz Haderlein und Riemenschneider schienen unterwegs zu sein. Nur
Honeypenny winkte ihr fröhlich zu und deutete auf die Kaffeemaschine.
    »Ich weiß
schon über alles Bescheid!«, rief sie quer durch den Raum. »Kaffee?«
    Ute von
Heesen rang sich trotz ihres Schlafdefizites ein Lächeln ab und schloss die Tür
hinter sich. Das war keine gute Nacht gewesen. Die Wohnung in der Loffelder
Mühle würde ihr noch den letzten Nerv rauben. Die und ihr geliebter Lagerfeld.
Beide hatten sie noch nie mit jemandem des anderen Geschlechtes zusammengewohnt
und auch noch nie größere handwerkliche Arbeiten verrichtet. In beiderlei
Hinsicht waren sie blutige Laien. Dass diese Konstellation ein so gewaltiges
Konfliktpotenzial in sich barg, war keinem von beiden klar gewesen. Sie hatten
sich einfach nur auf ihr gemeinsames Leben gefreut. Andererseits waren die
Streitereien schon losgegangen, als sie über den Standort ihres zukünftigen
Lebens diskutiert hatten. Bernd war Kommissar in Bamberg, Ute in leitender
Funktion bei der HUK Coburg tätig. Auf der Suche
nach dem verkehrstechnischen Mittelpunkt ihrer beiden Arbeitsstätten hatten sie
sich schließlich auf die geografischen Koordinaten rund um Bad Staffelstein
geeinigt. In Loffeld waren sie dann schlussendlich fündig geworden: eine
verfallene kleine Mühle am Ortsausgang Richtung Horsdorf, idyllisch an einem
Südhang und nur zwei Kilometer entfernt von der Autobahn nach Coburg
beziehungsweise Bamberg gelegen.
    Der Kauf
des ziemlich verfallenen Anwesens war für sie beide ein finanzieller Kraftakt
gewesen, also war bis zu einem eventuellen Einzug erst einmal eigene Handarbeit
angesagt. Und genau an diesem Punkt begannen die großen Probleme. Zwei
Ahnungslose, die von der handwerklichen Arbeit genervt den jeweils anderen
belehren wollten. Das ging nicht nur nicht lange gut, sondern war gestern Nacht
auch eskaliert. Zu guter Letzt hatte Ute ihrem Bernd eine Eieruhr auf die halb
fertig geflieste Toilette gestellt, weil er sich immer öfter entnervt dorthin
verzogen hatte. Schließlich wollte sie nicht die ganze Arbeit allein machen.
Daraufhin hatte Bernd die Eieruhr quer durch die Baustelle des zukünftigen
Wohnzimmers gepfeffert und war um fünf Uhr früh in voller Handwerkermontur aus
dem Haus gestürmt. Im Moment hatte er keine Lust auf gar nichts. Weder auf
Frauen geschweige denn auf Arbeit. Ute hatte allein zwischen den Resten der
Eieruhr und den Gipsplatten gesessen und ihren Tränen freien Lauf gelassen. So
hatte sie

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