Der Colibri-Effekt
sich seine sprachlichen Überlegungen wieder einmal in seinen
Gehirnwindungen vergaloppiert hatten. »Ich wollte sagen: Schwamm über die
ganze – äh, also, bevor – bevor der Schwamm in den Brunnen gefallen
ist, Lagerfeld. Und jetzt hurtig, hurtig, sonst muss ich Sie noch persönlich
übers, äh, die, äh, Morgenstund legen.« Sprach’s und legte den Hörer auf.
Die
beiden Frauen schauten sich ratlos an. Was hatte das kryptische Gefasel zu
bedeuten? Was war das für ein Kopf in einer Holzkiste? Aber der Einzige, der im
Moment darüber hätte Auskunft geben können, ging gerade verwirrt, aber
nichtsdestotrotz entschlossenen Schrittes zurück in seinen gläsernen Palast,
der sich Büro nannte.
Der Instinkt des Lachses
Er dachte
nicht darüber nach, was er tat. Er tat es, weil er es konnte und weil er
spürte, dass er es tun musste. Es war nur ein kleines Aufblinken gewesen, aber
ihm war sofort klar gewesen, dass er gefunden worden war.
Sie
warteten dort unten im Waldgebiet auf ihn. Warum sie wussten, dass er diesen
Pfad herunterkommen würde, war ihm momentan egal, darüber würde er sich später
Gedanken machen. Jetzt war nur die Tatsache wichtig, dass sie da waren. Nach
kurzer Analyse der Bodenverhältnisse entledigte er sich seiner Schuhe und
pirschte sich durch den norwegischen Wildwuchs.
Sich
links haltend schlug er sich durch den Wald und machte einen großen Bogen, bis
er seine mutmaßlichen Gegner umrundet zu haben glaubte. Vorsichtig bewegte er
sich auf den Waldrand zu. Immer langsamer setzte er einen Fuß vor den anderen
und achtete darauf, im weichen, durchnässten Waldboden kein Geräusch zu verursachen.
Dann sah
er sie. Zwei Männer in Tarnanzügen und mit Präzisionswaffen. Die Waffen
erkannte er sofort: Spezialanfertigungen israelischer Herkunft, zielgenau auf
bis zu einen Kilometer Entfernung. Diese Typen waren mit dem Modernsten
ausgestattet, was die Waffenindustrie für solche Zwecke zu bieten hatte. Das
waren keine norwegischen Dorfpolizisten, das waren Profis. Er schaffte es, sich
bis auf zehn Meter an sie heranzuschleichen, brauchte dafür aber fast zwanzig
Minuten. Die zwei Männer waren hoch konzentriert.
»Er
bewegt sich nicht mehr. Ich kann ihn nicht sehen. Wir warten ab«, flüsterte der
eine kaum hörbar. Permanent schaute er auf eine Art GPS -Gerät
und ab und zu in Richtung eines Felsblockes, hinter dem sie ihn anscheinend
vermuteten. Kalt lief es ihm den Rücken hinunter. Sie hatten ihn geortet? Aber
womit, zum Teufel? Und warum dachten sie dann noch, dass er dort oben wäre?
Die
Schuhe!, schoss es ihm durch den Kopf. Die Schuhe, die er ausgezogen und dort
zurückgelassen hatte. Sie waren verwanzt gewesen. Sein Verstand schlug einige
Sekunden lang Purzelbäume, bis er sich wieder im Griff hatte.
Er
schaute sich den Typen vor ihm genauer an. Außer dem Präzisionsgewehr trug er
noch ein Survivalmesser im Hüftgurt und eine mittelgroße Handfeuerwaffe in
einem Kunststoffholster. Dass sie geladen war, davon ging er aus.
Der
andere Mann stand etwa zehn Meter von dem ersten entfernt und starrte
unverwandt ebenso in Richtung des Felsblocks.
Er
benötigte keine halbe Minute, um einen Plan zu machen. Die Fakten waren klar
und eindeutig. Was nun folgen würde, lief vor seinem geistigen Auge bereits wie
eine Filmschleife ab. Er grub seine Füße in den weichen Waldboden und spannte
seinen Körper an. Dann sprang er.
Als
Haderlein zu Lagerfeld und Huppendorfer zurückkehrte, hatten die es mit einem
äußerst erregten Baron zu tun. Hätte er keine Handschellen getragen, so wären
die beiden Kommissare wohl schon längst von ihm erwürgt worden – so
dachten sie jedenfalls.
»Hört auf
mit dem Blödsinn und nehmt dem Mann die Handschellen ab«, befahl Haderlein kurz
und knapp. Lagerfeld hatte dem Baron zwischenzeitlich erneut die Handfesseln
angelegt. Sicher war sicher, so seine Devise. Ausgesprochen widerwillig kam
Lagerfeld der Anweisung nach und machte sofort einen Satz rückwärts, da der
Baron sich ohne Umschweife auf ihn stürzte. Zum Glück wurde er von einem
kleinen Ferkel daran gehindert, das sich dem wütenden von Rotenhenne in den Weg
stellte und ihn, so laut es für ein Schwein möglich war, anknurrte. Dieser
Moment reichte Haderlein vollkommen aus, um den Baron am Arm auf die Seite zu
ziehen.
»Kommen
Sie mit, Herr Baron. Ich habe ein paar Fragen an Sie«, sagte er höflich, aber
bestimmt. Doch der Baron wollte sich nicht schon wieder vom nächsten
Weitere Kostenlose Bücher