Der Consul
zur Anklage zu präsentieren oder Zeugen in diesem Sinn zu befragen, können Sie mich gleich in die Todeszelle verlegen. Selbst zu Kaisers Zeiten war es einem Angeklagten möglich, sich umfassend zu verteidigen.«
Der Senatspräsident schaute mich lange an. Schwere Tränensäcke hingen unter seinen Augen. Dieser Mann hatte viel gesehen. Und er fühlte sich nicht wohl. »Fahren Sie fort«, sagte er. Und ich dachte: Vielleicht haben sie einen Fehler gemacht, vielleicht hätten sie mich gleich töten sollen, wie Brückner oder Kippenberger.
»Danke, Herr Vorsitzender. Ich werde hier einen Freispruch erwirken.« Ich schaute dem Vorsitzenden in die Augen, dann sagte ich: »Bevor ich es vergesse, sollte ich tot in meiner Zelle gefunden werden, handelt es sich um Mord.«
Voß sprang auf, setzte sich aber gleich wieder. Zorn stand in seinen Augen.
»Herr Kommissar, Zweifel haben etwas zu tun mit Wissen oder mit Nichtwissen. Wissen Sie, ob ich niedergeschlagen wurde?«
»Nein.«
»Wissen Sie, dass ich nicht niedergeschlagen wurde?«
Wohlfeld drehte den Kopf kurz zum Oberreichsanwalt, dann zurück zu mir. »Nein.«
»Gut, wenn Sie also doch Zweifel haben, werden Sie meine Frage verstehen, warum Sie diesen Herrn Alexander offenbar nicht gesucht haben.«
»Aber wir haben ihn doch gesucht.«
»Warum nicht gleich so? Vorhin sagten Sie noch, Sie hätten ihn nicht gesucht. Weshalb haben Sie ihn denn gesucht?«
»Ich habe die Wahrheit gesagt. Das Fahndungsbüro hat ihn gesucht. Aber nicht auf Weisung der Mordkommission. Wir haben dem Fahndungsbüro nur geholfen bei der Suche.«
»Und wer hat das Fahndungsbüro zur Fahndung veranlasst?«
»Das Vermisstendezernat.«
»Wissen Sie, wer ihn als vermisst gemeldet hat?«
Voß rief: »Herr Vorsitzender, bitte beenden Sie dieses Spektakel. Das hat mit unserem Fall nichts zu tun.«
Der Senatspräsident schaute mich neugierig an. »Können Sie mir darlegen, was Sie mit Ihren Fragen bezwecken?« Er klang resigniert.
»Ich habe Alexander getroffen und befragt. Er hat gestanden, dass er mich niedergeschlagen hat, um Spuren des Mords an Röhm zu verdecken.«
Schweigen. Ich hatte die erste Bombe im Gerichtssaal gezündet.
Der Senatspräsident beugte sich nach vorne und fragte: »Sie wissen, was Sie da sagen?«
Ich nickte. »Ja.«
Voß’ Finger zappelten über dem Tisch. Womöglich dachte er jetzt, es sei ein Fehler gewesen, mich nicht auch wegen des Überfalls auf ihn anzuklagen. Vielleicht überlegte er, welche Zeugen er besser nicht aufrufen ließ. Oder er war einfach nur wütend. Er beantragte, die Verhandlung zu vertagen.
Ich widersprach. »Wenn ich mit dem Zeugen Wohlfeld fertig bin, werde ich einer Vertagung zustimmen.«
»Das klingt vernünftig«, sagte der Senatspräsident.
»Wenn ich meine Frage wiederholen darf: Wer hat Alexander als vermisst gemeldet?«
»Ich sagte doch, es lief über das Vermisstendezernat.«
»Sie haben jetzt die Wahl, mir zu sagen, was Sie wissen. Tun Sie es nicht, werde ich den Leiter des Vermisstendezernats als Zeugen aufrufen und ihn befragen, ob er Ihnen mitgeteilt hat, wer die Vermisstenanzeige aufgegeben hat. Und wenn er es getan hat, dann haben Sie hier falsch ausgesagt.« Es war ein Bluff, aber Wohlfeld war verunsichert, und ich hoffte auf einen Rest von Loyalität zu mir.
»Es kam aus dem Büro des Herrn Polizeipräsidenten.« Er sprach leise.
»Wiederholen Sie das bitte.«
»Es kam aus dem Büro des Herrn Polizeipräsidenten.«
»Sie wollen damit sagen, der Herr Polizeipräsident Melcher hat Herrn Alexander vermisst.«
»Das will ich damit nicht sagen. Der Leiter des Vermisstendezernats, Kommissar Kalow, hat mir gesagt .«
»Das ist Hörensagen!« rief Voß.
»Ich möchte die Antwort des Zeugen trotzdem hören«, sagte der Senatspräsident. »Vielleicht können wir es uns so ersparen, den Leiter des Vermisstendezernats nach Leipzig zu bitten. Also, Herr Zeuge!«
»Der Kommissar Kalow hat erzählt, er sei zum Herrn Präsidenten gerufen worden. Der Herr Präsident habe ihm befohlen, alle Fahndungsmittel einzusetzen, um diesen Alexander zu finden. Alle Dezernate seien in die Fahndung einzubeziehen.« »Wissen Sie etwas über einen Grund dafür?« fragte der Senatspräsident.
»Nein.«
»Haben Sie nicht danach gefragt?«
»Doch. Aber der Kommissar Kalow kannte ihn anscheinend nicht.«
Ich stand auf, um mir Gehör zu verschaffen. »Ich beantrage die Ladung des Zeugen Kurt Melcher, Ladungsadresse Polizeipräsidium Berlin,
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