Der Countdown
hielt vor der Absperrung. Eine gute Entscheidung.
“Corporal Graham?”
Graham trat näher an den Neuankömmling heran. Er war Mitte dreißig, gut eins achtzig groß, trug Jeans und ein kariertes Hemd unter einer schwarzen Bomberjacke aus Leder.
“Owen Prell. Inspector Stotter hat mich geschickt.”
“Dann haben Sie ja ziemlich schnell hergefunden.” Graham schüttelte ihm die Hand.
“Ich war bereits in Canmore.”
“Mike sagte, Sie kommen vom Organisierten Verbrechen in Medicine Hat.”
“Ich habe bislang bei der
General Investigation Section
gearbeitet. Im Büro haben sie mich direkt an den Schreibtisch neben Ihnen gesetzt. Ich freue mich darauf, mit Ihnen arbeiten zu können.”
Prell blickte zurück zu den Einsatzwagen und den Polizisten. “Die anderen möchten wissen, ob Sie fertig sind mit den Zeugen. Die Leute würden gerne gehen.”
“Wir sind fast fertig.” Graham durchblätterte seine Notizen. “Sammeln Sie Ihre Pässe ein, wir überprüfen sie durch Interpol. Sagen Sie einfach, dass das bei uns Routine ist und sie ihre Pässe bald zurückbekommen.”
“Mach ich.”
Als Prell sich umwandte, flog ein Hubschrauber über sie hinweg und peitschte das Wasser auf. Ein Helikopter der RCMP aus Edmonton. Kaum war er verschwunden, hörte Graham jemanden seinen Namen rufen.
Der Officer, der das Kanu untersuchte, winkte ihm zu, dass er sich etwas ansehen solle.
Etwas Wichtiges.
Zwischen den Felsen, an denen das Kanu zerschellt war, hatte sich eine kleine Metallplatte mit der Inschrift
Wolf Ridge Outfitters
verkeilt. Die Löcher für die Schrauben stimmten mit denen am Kanu überein. Es war dort ausgeliehen worden. Nummer 27.
Und die Bootsverleiher hatten garantiert Unterlagen über den Vorgang.
“Prell!”
Der Constable kehrte mit seinem Funkgerät zurück. Eine dringende Anfrage wurde ausgegeben, Wolf Ridge zu kontaktieren und die Mietunterlagen für Boot Nummer 27 mit denen der Parkbehörde abzugleichen.
Nach zwanzig Minuten bekamen sie die gewünschten Informationen.
Ein gewisser Ray Tarver aus Washington, D. C., hatte das Kanu angemietet.
Die Unterlagen der Parkbehörde wiesen Ray, Anita, Tommy und Emily Tarver als Besucher auf dem Autozeltplatz Nummer 131 aus.
6. KAPITEL
F aust’s Fork, bei Banff, Alberta, Kanada
Der Zeltplatz 131 lag flussaufwärts, tief im Hinterland und inmitten einer dichten Ansammlung von Fichten und Pinien. Der Platz eröffnete einen beeindruckenden Blick auf den Fluss und die zerklüfteten Felsen der Nine Bear Range, einer markanten Gebirgskette.
Als Graham mit den anderen eintraf, konnte er keinerlei Lebenszeichen ausmachen.
Ein modernes SUV parkte neben einem großen Kuppelzelt. Ein typischer Zeltplatz: Propangaskocher, Klappstühle und vier Schwimmwesten, die säuberlich aufgereiht an einer Fichte lehnten. Die Lebensmittel waren in sicherer Distanz zum Zelt untergebracht, und von einer zwischen zwei Pinien gespannten Wäscheleine hingen Hemden, Hosen und andere Dinge. Auf ihre Rufe nach den Tarvers hörten die Helfer nur das Rauschen des Flusses und das Wummern der Suchhubschrauber.
Der Ort war verlassen, absolut still.
Leblos.
Graham erklärte ihn zum zweiten Tatort, und während Prell und die anderen die Absperrungsbänder befestigten und per Funk das Kennzeichen des SUV überprüfen ließen, betrat er alleine das Zelt.
Innen empfing ihn der angenehme Geruch von Seife und Sonnencreme. Er hatte den Eindruck, dass hier etwas unterbrochen worden war, doch er konnte es nicht konkretisieren. Irgendwie war hier die Zeit stehen geblieben. An einer Seite lag ein Schlafsack, der groß genug war für zwei Erwachsene. Neben dem linken Kopfkissen lag ein Taschenbuch von Danielle Steel, neben dem rechten eine große Taschenlampe.
Gegenüber befanden sich zwei kleinere Schlafsäcke nebeneinander. Auf dem einen lag ein aufgeschlagenes SpongeBob-Heft, auf dem anderen saß ein rosafarbener Plüschhase mit ausgebreiteten Armen, so als erwarte er die Rückkehr seines Besitzers.
Graham nahm ihn hoch und blickte ihm in seine Knopfaugen.
Kinderkleidung in hellen Farben quoll aus kleinen Rucksäcken: Pullover, Hosen. Die größeren Taschen auf der gegenüberliegenden Seite waren ebenfalls offen, auch aus ihnen schaute Kleidung heraus, sie war aber nicht so zerknautscht.
Es war einigermaßen ordentlich.
Nach einer Brieftasche oder einem Portemonnaie suchte Graham vergeblich. Camper versteckten sie oft oder schlossen sie fort. Nachdem er sich Notizen gemacht
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