Der Coup von Marseille
französischen Rufnummer für Sie beide besorgt. Rufen Sie mich an – die Nummer ist gespeichert, um einen reibungslosen Kontakt zu gewährleisten. Und dann, nun …« Mit einer weit ausholenden Geste deutete er in die ver mutete Richtung der Stadt. »Heute gehört Marseille Ihnen. Ich kann das Peron zum Mittagessen empfehlen, oder Olivier fährt Sie nach Cassis, Aix, zum Luberon, wohin Sie wollen. Morgen beginnt die Arbeit. Die Einzelheiten besprechen wir heute Abend.«
Die Maschine ging in den Sinkflug, und Elena erhaschte einen ersten flüchtigen Blick auf das Mittelmeer, das in der Sonne glitzerte, und die Ausläufer von Marseille, die in der Ferne sichtbar wurden. Sie ergriff Sams Hand. »Ist das Licht nicht fantastisch? Alles sieht wie auf Hochglanz poliert aus. Wo ist der Smog?«
Sam drückte ihre Hand. »Hast du schon Heimweh? Ich glaube, hier gibt es keinen Smog. Der Mistral vertreibt ihn – oder der Knoblauch in der Bouillabaisse. Marseille wird dir gefallen; es ist eine malerische alte Stadt. Sollen wir heute hierbleiben, oder möchtest du dir lieber etwas von der Küstenlandschaft anschauen?«
Bevor Elena antworten konnte, war Mathilde zurückgekehrt, um die Anschnallgurte zu überprüfen und sie mit dem Prozedere nach der Landung vertraut zu machen. »Sie brauchen nur Ihre Pässe«, erklärte sie. »Das Gepäck wird für Sie durch den Zoll gebracht und im Auto verstaut. Olivier wartet in der Parkzone auf Sie. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Marseille.«
Das Flugzeug landete und rollte zu einem kleinen An kunftsgebäude hinüber, das Privatmaschinen vorbehalten war, bevor es sanft zum Stillstand kam. Das ist doch etwas ganz anderes als die Landung auf dem LAX, dem internationalen Flughafen von Los Angeles, dachte Elena, während sie den Gepäckabfertigern zusah, die um das Flugzeug herumwuselten. Sie rechnete schon halb damit, ebenfalls aufgeklaubt und während der letzten kurzen Etappe ihrer Reise im wahrsten Sinne des Wortes auf Händen getragen zu werden.
Sie verabschiedeten sich von Reboul, Mathilde und den beiden Piloten, bevor sie in den herrlichen provenzalischen Morgen hinaustraten – in das helle, strahlende Licht unter einem wolkenlosen tiefblauen Himmel. Bei der Einreise galt es, einen kurzen Zwischenstopp einzulegen, um sich von einem Beamten in Frankreich willkommen heißen zu lassen, bevor sie durch die Tür des Flughafengebäudes entschwinden durften. In fünfzig Meter Entfernung warteten eine schwarze Peugeot-Limousine und ein junger Mann im Anzug auf sie. Er hielt Elena die Tür auf, zeigte Sam das im Kofferraum verstaute Gepäck und brauste los. Die Zeit zwischen dem Ver lassen des Flugzeugs und dem Einsteigen ins Auto betrug kaum mehr als fünf Minuten.
»Mir fehlen langsam die Worte«, sagte Elena kopfschüttelnd. »Aber ich weiß, was ich mir zu Weihnachten wünsche.«
4. Kapitel
D ie Peugeot-Limousine bahnte sich vorsichtig den Weg durch die engen Gassen des siebten und achten Arrondissements von Marseille, der Hochburg des Ruhms und des Reichtums. Olivier fuhr Schrittgeschwindigkeit und hatte zu beiden Seiten oft nur noch eine Handbreit Platz. Er schlängelte sich den schmalen, gewundenen Chemin du Roucas Blanc empor und zwängte sich zwischen hohen Grundstücksmauern hindurch, hinter denen sich die hochherrschaftlichen, im pompösen Stil errichteten Villen, die sich bei den wohlhabenden Kaufleuten des neunzehnten Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuten, nur halbherzig verbargen. Gelegentlich stieß man auf einen architektonischen Fremdkörper: ein modernes weißes Ranchhaus, das sich so weit von Kalifornien entfernt sichtlich ausgegrenzt fühlte, oder eine winzige, heruntergekommene Hütte, kaum mehr als ein Elendsquartier, in dem früher viel leicht ein Fischer mit seiner Familie gehaust hatte. Das sei typisch für Marseille, klärte Olivier die Besucher aus Amerika auf: Reichtum und Armut auf engstem Raum, protzige Paläste auf Tuchfühlung mit armseligen Bruchbuden – die charakteristischen Merkmale einer Großstadt, die organisch gewachsen war ohne große Einmischung seitens der Stadtplaner.
Als sie sich dem Meer näherten, schienen die Mauern zu beiden Seiten der Straße höher und die Häuser größer zu werden. Sie waren von den reichsten Kaufleuten Marseilles erbaut worden, nicht nur wegen des ungetrübten Meerblicks, sondern auch, um das Wohl ihrer Vermögenswerte im Auge zu behalten – die im Hafen ein- und auslaufenden Schiffe mit ihrer
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