Der Coup von Marseille
gibt es hier auch Sardinen in der Größe von Haien. In Marseille ist alles größer und falls nicht, tun wir so als ob. Wie bei Ihnen in Texas, non? « Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Also. Hier sind Ihre Mobiltelefone mit jeweils vier gespeicherten Nummern: von Monsieur Reboul, Olivier, meiner Wenigkeit und natürlich von Ihnen beiden. Monsieur Reboul lässt ausrichten, Sie möchten sich im Laufe des Tages bei ihm melden, damit er weiß, ob alles in Ordnung ist. Das hier sind die Visitenkarten für Monsieur Levitt, die ihn als Vizepräsidenten von Van Buren Partners ausweisen. Und, nicht zu vergessen, ein Mitgliedsausweis für den Cercle de Nageurs, einen Schwimmclub. Dort gibt es einen Pool mit olympischen Ausmaßen und ein nettes Restaurant, in dem man ganz passabel zu Mittag essen kann. Und wenn Sie Ihren Kaffee ausgetrunken haben, können wir vielleicht ins Haus gehen und einen Blick auf das Modell werfen, das für die Präsentation des Projekts benutzt werden soll.«
Der Entwurf war im Esszimmer aufgestellt worden. Er nahm den größten Teil des langen Eichentisches ein und entsprach in allen Einzelheiten Rebouls Beschreibung von einer niedrig-geschossigen, mondsichelförmig angeordneten Wohnanlage mit Blick auf terrassierte Gärten, die zu einem kleinen Hafen hinabführten. Sam fiel sofort die erstaunliche Liebe zum Detail auf: Man hatte sogar an die Farben der Fensterläden und an die Bewohner gedacht, die im Miniaturformat zwischen den winzigen Bäumen entlangschlenderten oder zwischen ihren Minibooten im Hafen das Seefahrerleben genossen. Fehlte nur eine nette kleine Bar mit Meerblick, dachte Sam. Doch alles in allem war er zufrieden mit dem, was er sah. Die Anlage fügte sich nahtlos in die Küstenlinie ein, ohne dass ein hässlicher Betonklotz die Silhouette verschandelte, und sie bot Wohnraum für einige Hundert Marseiller. Rebouls Architektenfreund hatte ganze Arbeit geleistet.
Sam fragte sich, wie es sein mochte, dort zu leben, als Elena ihm von der entgegengesetzten Seite des Raumes zurief: »Vergiss nicht, heute ist unser freier Tag. Claudine meint, Cassis würde uns gefallen, und Olivier wartet draußen, um uns hinzufahren. Was hältst du davon?«
»So sollte das Leben immer sein.« Elena rückte ihre Sonnenbrille zurecht und lehnte sich in die Polster zurück, als der Wagen im Schneckentempo den Chemin du Roucas Blanc hinunterfuhr. Cassis war nur dreißig Kilometer entfernt, die Sonne stand hoch am Himmel, und sie hatte den ganzen Morgen kein einziges Mal ans Büro gedacht. »Irgendjemand hat einmal gesagt, dass es Jahre dauert, bis man Härten und Pechsträhnen hinnimmt, aber nur wenige Stunden, um sich an Komfort und Glückssträhnen zu gewöhnen. Chauffeur, Hausdame, Hausmädchen – ich fühle mich in dieser Umgebung schon wie zu Hause.«
Das sah man. Es war geraume Zeit her, dass Sam sie so entspannt erlebt hatte, genauer gesagt, nicht mehr seit der wenigen gestohlenen Tage in Paris. Offenbar reichte bereits das Wissen aus, sich in Frankreich zu befinden, um ihre Lebensgeister zu wecken – zweifellos unterstützt durch den meilenweiten Abstand von der Versicherungsbranche. Wäre Olivier nicht in unmittelbarer Nähe gesessen, hätte Sam eine Idee zum Ausdruck gebracht, die ihm schon seit besagter Zeit durch den Kopf ging: ein Leben mal hier und mal da, mit müßiggängerischen Sommermonaten in der Provence und arbeitsarmen Wintermonaten in L. A. Vielleicht sollte er den Gedanken zur Sprache bringen, zur richtigen Zeit.
»Mir fällt gerade ein, dass du fließend Spanisch sprichst«, überlegte er laut. »Dann würdest du Französisch bestimmt sehr schnell lernen.«
Elena musterte ihn von der Seite. »Willst du auf etwas Bestimmtes hinaus?«
Sam lächelte, aber er antwortete nicht. Seit ihrer letzten hochexplosiven Trennung und der mit erheblicher Verzögerung erfolgten Versöhnung hatten beide darauf geachtet, das Thema Zukunft zu meiden. Obwohl Elena die meisten Nächte bei Sam im Chateau Marmont verbrachte, legte sie Wert darauf, ihre Wohnung, ihren Job und ihre Unabhängigkeit zu behalten. Im Moment gefiel ihr dieses Arrangement, doch wie lange noch?
»Nun, du kennst mich, Sam. Ich bin immer offen für ein interessantes Angebot.« Sie blickte ihn an und klimperte mit den Wimpern, merkte aber, dass sie sich umsonst bemühte, weil sie eine Sonnenbrille im Hollywoodformat trug.
Sam kramte in seiner Tasche nach dem Handy. »Möchtest du deinem Lieblingsjournalisten Hallo sagen?
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