Der Coup von Marseille
hin und her. »Angenommen, Sie erhalten tatsächlich den Zuschlag«, wandte sie sich nun an Reboul. »Würde es Ihnen dann nicht schwerfallen, Ihre Anonymität zu wahren? Woher stammt beispielsweise das Geld? Ich meine, sind mit solchen öffentlichen Ausschreibungen nicht alle möglichen Leistungsgarantien und Offenlegungspflichten verbunden – oder sind das wunderliche amerikanische Sitten und Gebräuche aus längst vergangener Zeit?«
Reboul hatte während Elenas Rede mehrmals genickt. »Ein sehr gutes Argument, meine Liebe. Ich werde Ihnen erklären, wie ich dieses Problem zu lösen gedenke.« Er winkte den Kellner herbei und bestellte Kaffee und Calvados für alle drei. »Ich habe für ausreichendes Startkapital bei Langer & Troost gesorgt – ausgehend von Konten in Dubai, damit sich die Spur nicht nach Frankreich zurückverfolgen lässt; die Mittel decken die Finanzierung der ersten Bauphasen ab. Sobald diese abgeschlossen sind und das Projekt läuft, wird ein unvorhergesehenes und völlig unerwartetes Cashflow-Problem eintreten, ein finanzieller Engpass sozusagen.« In gespieltem Entsetzen riss er Mund und Augen auf. »Doch zum Glück ist nicht alles verloren. Hilfe naht in Gestalt eines mitfühlenden lokalen Investors. Er erklärt sich mit Blick auf das übergeordnete Wohl von Marseille bereit, die finanzielle Verantwortung für die Fertigstellung des Projekts zu übernehmen.«
»Und dieser edle Ritter werden Sie sein«, schloss Elena.
»Sie haben es erfasst.«
»Und in dieser fortgeschrittenen Bauphase sind Patrimonio die Hände gebunden.«
»Genau.«
»So weit, so gut. Dann brauchen wir jetzt nur noch den Verkaufsrepräsentanten.« Elena wandte sich an Sam. »Womit wir zu dir kommen, großer Zampano.«
Levitt wusste, dass es für ihn kein Entkommen gab. Er konnte es nicht riskieren, sich Elenas Enttäuschung und Zorn zuzuziehen, wenn er den Auftrag ablehnte und sie um den ersten Urlaub ihres Lebens in Südfrankreich brachte. Aufgrund seiner früheren Erfahrungen mit Elena, deren Blut leicht in Wallung geriet, war diese Aussicht höchst unerfreulich. Abgesehen davon schien eine Präsentation wie die von Reboul geschilderte ein Kinderspiel zu sein, notfalls auch im Kopfstand durchzuführen. Und überdies könnte der kleine Ausflug in Frankreichs südliche Gefilde sogar Spaß machen. Das Einzige, was ihm Sorge bereitete, waren die Andeutungen, dass dieser Korse namens Jérôme Patrimonio vor körperlicher Gewalt nicht zurückschreckte.
»Na gut, ihr habt gewonnen«, erwiderte er. Er hob sein Glas und prostete zuerst Elena und danach Reboul zu. »Auf den Erfolg unseres kleinen Abenteuers.«
Reboul strahlte, sprang auf und eilte pfeilschnell um den Tisch herum. »Bravo!«, rief er. »Bravo!« Und küsste den verdutzten Sam unverzüglich auf beide Wangen.
3. Kapitel
K eine Menschenmengen in Sicht. Keine Warteschlange. Kein unwirsches Sicherheitspersonal. Keine Kofferschlepperei, keine Sitzplatzdebatten, keine Sitznachbarn mit unkontrollierbaren Ellenbogen, keine hysterischen Klein kinder und keine übel riechenden, überlasteten Toiletten – kurzum, der Flug in einem Privatjet beraubt die Passagiere aller vertrauten Freuden einer Flugreise im einundzwanzigs ten Jahrhundert. Doch es gibt Trostpflaster, wie Elena und Sam entdeckten.
Rebouls Gulfstream G550 war aufwendig umgestaltet wor den, um gerade mal sechs Passagieren, zwei Piloten und einer Flugbegleiterin Platz in einem Ambiente zu bieten, das Reboul gerne als luxe et volupté bezeichnete. Und an Luxus und Sinnenfreuden herrschte wahrhaftig kein Mangel. Die Kabine war in sanften Karamell- und Cremetönen gehalten, und die Sessel – es wäre einem Sakrileg gleichgekommen, sie als »Sitze« zu bezeichnen – mit ihrer schokoladenbraunen Velourslederpolsterung wirkten sehr edel. Es gab sogar einen kleinen Salon, in dem die Fluggäste speisen konnten. Den Vorsitz über die winzige Bordküche und die Bar im vorderen Bereich der Kabine führte Mathilde, eine attraktive Frau in einem gewissen Alter und einer ansehnlichen Ausstattung von Yves Saint Laurent, die auf das geringste Anzeichen von Durst und Hunger achtete. Den Passagieren bot sich die Möglich keit, per Telefon und Internet mit der Welt unter ihnen in Verbindung zu bleiben oder den Blick auf einen riesigen, hochauflösenden Bildschirm zu richten, um sich bei amerikanischen und europäischen Spielfilmen aus der umfangreichen Videothek zu entspannen. Auch Zigarrenraucher durften unbeanstandet
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