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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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heftig zu Boden.
    Alcide Jolivet und sein Begleiter vermochten einem solchen Schauspiel nicht ohne die Gefühle der tiefsten Indignation beizuwohnen.
    »Dieser erbärmliche Kerl! Fort, fort von hier! sagte Alcide Jolivet.
    – Nein, entgegnete Harry Blount, nun wollen wir auch Alles sehen!
    – Alles sehen! … Ah, dort! rief plötzlich Alcide Jolivet und ergriff den Arm seines Gefährten.
    – Was haben Sie? fragte dieser.
    – Sehen Sie dorthin, Blount! Da ist sie!
    – Sie? – Welche sie?
    – Die Schwester unseres Reisegefährten! Hilflos und gefangen. Wir müssen sie retten …
    – Geduld, entgegnete frostig Harry Blount. Unsere Intervention zu Gunsten des jungen Mädchens dürfte ihr eher schädlich als nützlich werden.«
    Alcide Jolivet, der sich schon zu Nadia drängen wollte, ließ sich belehren, und Letztere, welche die beiden Reporter nicht gesehen hatte, ging, von ihrem reichen Haar halb verschleiert, vor dem Emir vorüber, ohne dessen besondere Aufmerksamkeit zu erwecken.
    Nach Nadia kam Marfa Strogoff an die Reihe, und da sie sich nicht schnell genug in den Staub warf, drückten sie die Wachen mit rauher Faust nieder.
    Marfa Strogoff fiel zu Boden.
    Ihr Sohn schäumte auf vor Wuth, so daß ihn die bewachenden Soldaten kaum zu bändigen vermochten.
    Die alte Marfa erhob sich wieder und sollte eben fortgeführt werden, als Iwan Ogareff das verhinderte.
    »Dieses Weib bleibt hier!« rief er.
    Nadia ward in den Haufen der Gefangenen zurückgeführt. Iwan Ogareff’s Blick hatte sie nicht erkannt.
    Jetzt wurde Michael Strogoff vor den Emir gebracht und blieb, ohne auch nur die Augen zu senken, vor diesem stehen.
    »Die Stirn auf die Erde! herrschte ihn Iwan Ogareff an.
    – Nein«, antwortete Michael Strogoff.
    Zwei Soldaten wollten ihn zwingen, sich zu beugen, doch die kräftige Hand des jungen Mannes drückte sie an seiner Statt zu Boden.
    Iwan Ogareff sprang auf Michael Strogoff zu.
    »Du verwirkst Dein Leben! rief er.
    – Ich werde ruhig sterben, erwiderte stolz Michael Strogoff, aber Deine Verrätherstirn, Iwan, wird für immer die schmachvolle Schramme von der Knute tragen!«
    Iwan Ogareff erbleichte bei diesen Worten.
    »Wer ist dieser Gefangene? fragte der Emir, dessen ruhige Stimme nur um so drohender war.
    – Ein russischer Spion«, antwortete Iwan Ogareff.
    Als er Michael Strogoff für einen Spion ausgab, wußte er recht wohl welches entsetzliche Loos ihm bevorstand.
    Michael Strogoff hatte sich Iwan Ogareff genähert.
    Die Soldaten hielten ihn zurück.
    Der Emir machte eine Handbewegung, auf welche sich die ganze große Menge niederbeugte. Dann zeigte er nach dem Koran, den man ihm brachte Er öffnete das Buch und legte einen Finger auf ein Blatt.
    Der Zufall, oder nach dem Glauben der Orientalen, Gott selbst, sollte das Schicksal Michael Strogoff’s entscheiden.
    Die Völker Centralasiens nennen dieses Gerichtsverfahren »Fal«. Nach der Auslegung des von dem Finger des Richters zufällig getroffenen Verses fällen sie das Urtheil.
    Der Emir ließ den Finger auf der einen Seite des Koran liegen.
    Der Erste der Ulemas trat hinzu und verlas mit lauter Stimme einen Vers, der mit den Worten schloß:
    »Und er wird die Dinge der Erde nicht mehr sehen.«
    »Spion der Russen, sagte der Emir, Du bist hierher gekommen, zu sehen, was im Tartarenlager vorgeht; nun sieh mit allen Deinen Augen, sieh’ Dich um!«

Fünftes Capitel.
Nun sieh’ Dich um.
    Michael Strogoff mußte mit gefesselten Händen vor dem Thron des Emirs am Fuße der Terrasse stehen bleiben.
    Ueberwältigt von physischen und moralischen Schmerzen war seine Mutter endlich zusammengesunken und wagte weder etwas zu sehen noch zu hören.
    »Sieh’ mit allen Deinen Augen, sieh’ Dich um!« hatte Feofar-Khan mit einer drohenden Handbewegung gegen Michael Strogoff gesagt.
    Ohne Zweifel verstand Iwan Ogareff bei seiner Kenntniß der tartarischen Sitte den Sinn dieser Worte genügend, denn um seine Lippen spielte einen Augenblick lang ein wahrhaft teuflisches Lächeln. Dann hatte er neben Feofar-Khan Platz genommen.
    Jetzt erklangen lustige Trompetenstöße, das Signal zum Beginn der Festspiele.
    »Da kommt ja das Ballet, sagte Alcide Jolivet zu Harry Blount, diese Barbaren führen es aber entgegen unserer Sitte vor dem Drama auf, statt nachher.«
    Michael Strogoff sollte sich Alles anschauen. Er that es. Eine Wolke von Tänzerinnen flog auf den Platz.
    Eine fremdartige Musik ertönte von den verschiedensten tartarischen Instrumenten, der

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