Der Courier des Czar
daß er gekämpft, aber auch gelitten hatte. Seine Züge erinnerten lebhaft an die seiner Tochter Nadia Fedor.
Mehr als jeden Anderen hatte ihn der Tartareneinfall auch persönlich schmerzlich berührt und die liebste Hoffnung eines Vaters vernichtet, der achttausend Werst von seiner Heimat in der Verbannung lebte. Ein Brief hatte ihm den Tod der geliebten Gattin gemeldet zugleich mit der Abreise seiner Tochter, welche von der Regierung die Erlaubniß ausgewirkt hatte, ihm in Irkutsk Gesellschaft zu leisten.
»Du bist Courier des Czar?« fragte der Großfürst. (S. 372.)
Nadia hatte Riga am 10. Juli verlassen. Die Invasion begann am 15. Juli. Wenn Nadia zu dieser Zeit schon die Grenze überschritten hatte, was war aus ihr mitten in dem Schwarme der Feinde geworden? Von welcher Unruhe mußte der unglückliche Vater verzehrt werden, da er seit dieser Zeit keine Nachrichten von seiner Tochter erhalten hatte!
Wassili Fedor verneigte sich in Gegenwart des Großfürsten und erwartete von diesem angesprochen zu werden.
»Wassili Fedor, begann der Großfürst, Deine Genossen in der Verbannung haben sich erboten, ein Elitecorps bilden zu dürfen. Sie vergessen doch nicht, daß in einer solchen Schaar Jeder bis zum letzten Mann zu sterben bereit sein muß?
– Sie sind sich dessen bewußt, erwiderte Wassili Fedor.
– Sie wünschen Dich als Anführer?
– Ja, kaiserliche Hoheit.
– Und hast Du die Absicht, Dich an ihre Spitze zu stellen?
– Wenn das Heil Rußlands es erheischt, gewiß.
– Commandant Fedor, sagte der Großfürst, Du bist nicht mehr verbannt..
– Ich danke, Hoheit, aber kann ich dann über Solche den Befehl führen, die es noch sind?
– Sie sind es nicht mehr.«
In seine Hand legte der Bruder des Czar die Begnadigung seiner verbannten Genossen, jetzt seiner Waffengefährten.
Tief bewegt drückte Wassili Fedor die ihm dargebotene Hand des Großfürsten und verließ das Gemach.
Der Letztere wendete sich an seine Officiere.
»Der Czar wird den Gnadenbrief anerkennen, den ich hier in seinem Namen ausstelle, sagte er lächelnd. Wir brauchen Helden, um die Hauptstadt Sibiriens zu vertheidigen, ich habe solche jetzt geschaffen.«
Diese den Verbannten von Irkutsk gewährte Gnade entsprach in der That ebenso einer großherzigen Justiz, wie einer klugen Politik.
Die Nacht brach herein. Durch die Fenster des Palastes leuchteten die Feuer des tartarischen Lagers, die sich da und dort in der Angara wiederspiegelten. In dem Flusse trieben zahlreiche Eisschollen, von denen einige an den alten Pfeilern der früheren hölzernen Brücke hängen blieben. Die meisten flossen aber mit erstaunlicher Schnelligkeit dahin. Offenbar konnte die Angara, wie es der Vorsteher der Kaufmannschaft schon gesagt hatte, nur schwer in der ganzen Oberfläche zufrieren. Die Gefahr eines Angriffes von der Wasserseite brauchten die Vertheidiger von Irkutsk also nicht sonderlich zu fürchten.
Eben schlug es zehn Uhr. Der Großfürst verabschiedete seine Officiere und wollte sich gerade in seine Gemächer zurückziehen, als vor dem Palaste ein auffallender Tumult entstand.
Fast gleichzeitig öffnete sich die Thür des Salons, ein Feldjäger trat ein und ging auf den Großfürsten zu.
»Kaiserliche Hoheit, meldete er, ein Courier des Czar!«
Dreizehntes Capitel.
Ein Courier des Czar.
Eine unwillkürliche Bewegung führte alle Theilnehmer der Berathung nach der halb offenen Thür zurück. Ein Courier des Czar, in Irkutsk angekommen! Wenn die Officiere nur einen Augenblick über die Wahrscheinlichkeit dieser Thatsache nachgedacht hätten, mußten sie dieselbe für unmöglich ansehen.
Der Großfürst war lebhaft auf seinen Feldjäger zugeschritten.
»Laß den Courier eintreten!« sagte er.
An der Schwelle erschien ein Mann. Seine äußere Erscheinung zeugte von großer Erschöpfung. Er trug die abgenutzte, halb zerrissene Kleidung eines sibirischen Bauern, an der sogar einige Löcher von Kugeln sichtbar waren. Seinen Kopf bedeckte eine moskowitische Mütze. Auf der Wange sah man eine kaum verharschte Schramme. Offenbar hatte dieser Mann einen langen und beschwerlichen Weg hinter sich. Seine in schlechtem Stande befindliche Fußbekleidung verrieth auch, daß er einen Theil seiner Reise zu Fuß zurückgelegt haben mußte.
»Seine kaiserliche Hoheit der Großfürst?« fragte er eintretend.
Der Großfürst ging auf ihn zu.
»Du bist Courier des Czar? fragte er.
– Ja, Hoheit.
– Und kommst …?
– Aus
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